21. September 2017

Von der »Superkuh« zum erweiterten Menschen?

Andreas Artmann; Foto: Xandra Herdieckerhoff, lichtpix.de

Ein Gastbeitrag von Andy Artmann, Andreas Hermes Akademie (AHA)

Die »Superkühe« sind ein interessantes datenjournalistisches Experiment. Eine weitere kreative Antwort auf die Verdünnung der redaktionellen Expertise durch Stellenabbau im journalistischen Bereich. Der ursprüngliche Rechercheweg über Experten und Verbände hat einen Riss in die Gesellschaft getragen. Da erscheint die Suche nach neutralen Reportage-Quellen logisch. Wie ergeht es der Kuh auf der Weide und im Stall wirklich – jenseits der Meinung eines Landwirtes oder einer Organisation?

Warum also nicht die Kuh vermessen?

Entsprechende Sensortechnik ist vorhanden. Fortschrittstreiber war hier der Datenbedarf bei wachsender Herdengröße und die Optimierung des Herdenmanagements. Deshalb arbeitet zum Beispiel die Universität Bonn mit Sensoren. Das Wissenschaftler-Team um Dr. Ute Müller vom Institut für Tierwissenschaften entwickelt eine Kuh-App. Verschiedene Sensoren sollen darauf hinweisen, wenn einzelne Milchkühe ein auffälliges Verhalten an den Tag legen. Das Forschungsziel ist ein genauerer Überblick über die Herde und jedes einzelne Tier.

Und der Mensch?

Das Georgia Institute of Technology in Atlanta entwickelt Sensoren, welche die Daten eines Menschen direkt an Rettungsdienste übertragen. Notfalls kann so ein Mensch geortet werden. Die US-Amerikaner wollen mit dieser Technik zum Beispiel Kinder überwachen, sowie alte und kranke Menschen am Rechner verfolgen.

Vermessung des Nachrichtenlesers

Bereits seit diesem Jahr vermisst der Journalist Marco Maas in seinem Projekt »xMinutes« freiwillige Probanden. Zur Verbesserung seiner News-App analysiert er hunderte NachrichtenleserInnen. »Einen Teil der Privatsphäre aufgeben und dafür passgenaue Inhalte bekommen, das ist der Deal«, so Maas gegenüber der Zeitschrift Wired. Im Prinzip ist die 2016 konzipierte App ein Übergang und Abgesang auf das Konzept konventioneller Webseiten. Marco Maas in seiner Kolumne: »Mit xMinutes bauen wir eine Plattform für den perfekten Nachrichten-Stream – Nachrichten werden kontextbasiert dem Leser präsentiert …« Seine Firma, entstanden aus der Open Data Bewegung, ist algorithmengesteuert. »Wir starten demnächst mit AmbientNews, um über das Internet der Dinge (IoT) endgeräteunabhängig Nachrichten auszuliefern«. Das bedeutet: Eine Nachricht wird beim Rasieren im Spiegel als Text angezeigt und beim Baden als Audio vorgespielt. Ein morgendlicher Stauhinweis für den Arbeitsweg wird in der Küche als Sprachnachricht und im Auto als rotes Warnsignal angezeigt.

Forschungsprojekt zur »Schnittstelle Mensch«

Die Wissenschaftler des Deutschen Hygiene-Museums Dresden (DHMD) und der Technischen Universität Berlin erforschen in dem Projekt »Anthropofakte« die Schnittstellen zwischen menschlichem Körper und moderner Technik. Sie stellen sich Fragen nach dem Übergang von »Artefakt« zum »Biofakt«.

Schon heute lassen sich Menschen, zum Teil organisiert im Berliner Verein »Cyborg«, in ihre Körper Sensortechnik einbauen. Ihnen werden zum Beispiel Magnete in die Finger gespritzt, um elektromagnetische Felder wahrnehmen zu können. In vielen europäischen Ländern lassen sich technikaffine Menschen, sogenannte »Cyber-Nerds«, Chips unter die Haut pflanzen. Diese Sensoren werden von Türsystemen erkannt. Einer der Begründer dieser Bewegung, Neil Harbisson, geht noch einen Schritt weiter. Harbisson lässt sich Techniken in den Schädel implantieren, mit denen er seine Sinne schärfen will. So kann der farbenblind geborene britische Künstler selbst das Spektrum von Ultraviolett und Infrarot wahrnehmen. Diese »Upgrades« haben ihm den Titel »Cyborg« (Mensch-Maschine) eingebracht.

Sind also die »Superkühe« nur ein Anfang?

Das Sensorjournalismus-Experiment »Superkühe« will einfach aufzeigen, wie drei Kühe aus drei Haltungsformen (konventioneller Familienbetrieb, Großbetrieb, Bio-Betrieb) leben – mit direktem Zugang zu den Vital-Daten der Tiere für Publizisten. Am Ende sollen Zuschauer und Leserinnen die Möglichkeit haben, sich eine fundamentierte Meinung zu bilden. Die aktuellen Entwicklungen bringen spannende journalistische und ethische Aufgaben mit sich, nicht nur für Datenjournalistinnen und Agrarjournalisten.

Andreas (Andy) Artmann, der Publizist beschäftigt sich seit 1990 mit digitalen Innovationen im Bereich der Presse und bildet Journalisten und Kommunikatorinnen aus. So platzierte er das erste digitale Bild in einer deutschen Tageszeitung und begleitet die Entwicklung des E -Reading für die Frankfurter und Leipziger Buchmesse. Zusammen mit der Andreas Hermes Akademie (AHA) und der Plattform www.dialog-milch.de arbeitet er an neuen Lernformen für Journalistinnen und Öffentlichkeitsarbeiter.

Mehr zu dem Thema Data-Driven-Journalism (DDJ) gibt es auf der Journalismus-Konferenz www.besser-online.info

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