14. Dezember 2022

Gastbeitrag: Die Bedeutung der Weidehaltung in Agrarökosystemen

Dr. Arno Krause, Grünlandzentrum Niedersachen/Bremen e.V.

Weidehaltung ist ein in vielen Regionen Europas traditionelles Haltungssystem. Aufgrund ihrer vielfältigen Funktionen hat diese Haltungsform das Potenzial, hochwertige Lebensmittel wie Milch und Fleisch zu erzeugen und hat gleichzeitig positive Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche und ökologische Aspekte. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Weidehaltung positive Effekte auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die Verringerung der Kohlenstoffemissionen, die Erhaltung von Kulturlandschaften, die Verbesserung des Tierschutzes und das Einkommen der Landwirte haben kann.

Weidehaltung als Landschaftspflege

Zahlreiche Regionen Europas sind als „Kulturlandschaften“ durch die Weidehaltung geschaffen bzw. geprägt worden. So gilt die Beweidung im Naturschutz und in der Landespflege auch heute noch als wichtigste Nutzungs- und Pflegeform zum Erhalt der Artenvielfalt und der Kulturlandschaft. Allein in einem Kuhfladen können sich in Form von Insektenlarven zwischen 250–300 g Insektenmasse befinden, was u. a. eine wichtige Nahrungsgrundlage für bedrohte Vogelarten darstellt.

Weidehaltung genießt darüber hinaus besondere Akzeptanz in der Gesellschaft. Repräsentative Meinungsumfragen haben gezeigt, dass große Teile der europäischen Gesellschaft die Weidehaltung eindeutig bevorzugen, bzw. sich eine Landschaft ohne das Bild grasender Kühe kaum vorstellen können.

Umsetzung in der Praxis

Wie erfolgreich diese positiv wirkenden Maßnahmen genutzt oder in die Praxis umgesetzt werden, hängt vom Ausmaß und der Art der Beweidung ab. Die Beweidung ist in Europa generell rückläufig, mit einem Rückgang von 10–20 % im letzten Jahrzehnt, was eine Bedrohung für viele Ökosystemleistungen darstellt. Die Gründe für die Aufgabe der Weidehaltung sind vielfältig und hängen insbesondere von Standortfaktoren ab. Dazu gehören sicherlich die Betriebsgröße, bzw. die Größe des Viehbestands sowie die Verfügbarkeit geeigneter (Weide-) Flächen in geeigneter Entfernung zum Stall. Tendenziell nimmt die Weidehaltung mit wachsenden Tierzahlen ab und Treibewege von mehr als einem Kilometer Länge gelten als wenig passend.

Darüber hinaus sorgen sich Landwirte oft im Hinblick auf Schwankungen in der Futterverfügbarkeit sowie die Futterqualität von (Frisch-)Gras, insbesondere im Zeichen des Klimawandels. So haben die Dürren der letzten Jahre gerade für Weidehalter zu zusätzlichen Engpässen geführt – in einigen Regionen musste zusätzliches Futter aus mehreren Hunderten Kilometern Entfernung beschafft werden.

Als besonderer Faktor gilt die Einstellung, also der „mind-set“ vieler Landwirte zur Weidehaltung. Die Wahrnehmung der Vor- und Nachteile hat sich im Laufe der Jahre verändert, von positiv zu weniger positiv, und variiert derzeit stark. Für Praktiker ist die Weidehaltung gegenüber der Stallhaltung allgemein schwieriger zu handhaben, da die Weidesysteme in hohem Maß von den örtlichen Gegebenheiten und dem Wetter abhängig sind.

Rahmenbedingungen und Herausforderungen

Die (Wieder-)Einführung bzw. das Vorhandensein großer Fleischfresser wie Wölfe stellt eine zusätzliche Bedrohung für die Bewirtschaftung und das Wohlergehen der Weidetiere dar. Studien haben gezeigt, dass die Gegenwart großer Beutegreifer zu psychischen Belastbarkeitsstörungen bei Landwirten führen kann, sogar wenn die Betriebsleiter selbst nicht unmittelbar betroffen sind, sondern Angriffe auf Weidetiere bei Nachbarn oder bekannten Berufskollegen stattgefunden haben.
Für den Erhalt der Weidewirtschaft und für die Inwertsetzung der vielfältigen Leistungen der Weidewirtschaft wird es notwendig sein, Landwirte von der Vielzahl der bestehenden Möglichkeiten und Optionen der Weidewirtschaft zu überzeugen. Innovationen im Weidemanagement sind wichtig, aber auch eine Herausforderung, da

  1. graslandbasierte Produktionssysteme komplex und von den lokalen Bedingungen abhängig sind,
  2. die Vorteile von Innovationen auf Grünland nur mit einer zeitlichen Verzögerung wahrgenommen werden,
  3. Grünlandinnovationen die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit mit Kompromissen zwischen den Leistungen beeinflussen und
  4. die Interaktion zwischen Praxis und Forschung oft begrenzt ist.
Kühe auf Weide

Fazit

Landwirte brauchen deutlich mehr Unterstützung bei der Suche nach dem geeignetsten („besten“) Weg, die Grünlandproduktion zu optimieren und gleichzeitig den ökologischen und gesellschaftlichen Anforderungen bzw. Wünschen gerecht zu werden. Dies steht im besonderen Zusammenhang mit den zahlreichen, intensiven Diskussionen über die künftige Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionssysteme, um die globalen Herausforderungen der Nahrungsmittelversorgung, der biologischen und kulturellen Vielfalt, des Klimawandels, der begrenzten Ressourcen und der sozialen Gerechtigkeit zu bewältigen.
Die Integration von Tieren in Agrarökosysteme kann die langfristige ökologische Nachhaltigkeit und sozioökonomische Lebensfähigkeit der Landwirtschaft gewährleisten. Die Art und Weise, wie Tiere in Agrarökosysteme und Nahrungsmittelsysteme integriert werden, bestimmt, ob und wie die Tierhaltung für die Umwelt vorteilhaft oder nachteilig sein kann und wird darüber entscheiden, ob die Tierhaltung in diesem Jahrhundert noch gesellschaftlich tragfähig sein wird.

(Alle Fotos: ©ProWeideland)