14. Dezember 2021
Landwirtschaft und Ampelkoalition:
Welche Veränderungen sind zu erwarten?
Am 24. November, und damit siebeneinhalb Wochen nach der Bundestagswahl, hat die neue Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Er enthält eine Reihe von konkreten Zielen und viele vage umrissene Vorhaben.
Pflanzenbau
Unter anderem soll der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel auf das notwendige Maß beschränkt werden. Dieses Ziel ist schon seit Jahren Teil der Definition zum Integrierten Pflanzenschutz[1] und damit eigentlich nichts Neues. Pflanzenschutz soll darüber hinaus auf Wunsch der Koalitionäre aber künftig keine Umweltschäden mehr verursachen. Erläuterungen dazu, wie dies und die Beschränkung auf das notwendige Maß konkret erreicht werden soll, gibt es in dem Koalitionsvertrag allerdings nicht.
Anders im Fall des Totalherbizids[2] Glyphosat: Hier haben sich die Koalitionäre darauf verständigt, dieses Pflanzenschutzmittel bis Ende 2023 komplett vom Markt zu nehmen. Forschung und Entwicklung zum Integrierten Pflanzenschutz sowie alternative Pflanzenschutz-Verfahren sollen gestärkt werden; zugleich soll die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln transparenter erfolgen, wobei diese – wie übrigens auch bisher schon – nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen soll. Auch hier also nicht viel Konkretes.
Klar ist die Zielstellung von 30 Prozent Ökolandbau bis 2030; dazu sollen in entsprechendem Umfang Agrarforschungsgelder zum Thema Ökolandbau bereitgestellt werden. Auf die Frage, ob die Gesellschaft die so erzeugten Produkte nachfragen wird, geht der Koalitionsvertrag nicht ein. Auch die Züchtung klimaresistenter Sorten soll unterstützt werden. Weiterhin stehen Forschung zu und Förderung von klimarobustem Ackerbau im Fokus eines geplanten Bundesprogramms „Zukunftsfähiger Ackerbau“. Vermieden haben die Autoren des Koalitionsvertrags klare Aussagen zu den neuen Züchtungsmethoden[3]; ob diese – und die damit vergleichsweise schnell möglichen Zuchtfortschritte – also zukünftig in Deutschland nutzbar sein werden, bleibt offen.
Auffällig ist, dass der Koalitionsvertrag keinerlei Aussagen zu den mit breiter gesellschaftlicher Beteiligung erarbeiteten Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft enthält. Dies gilt leider auch für das Konzept der Borchert-Kommission – Stichwort Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung.
Tierhaltung
In Deutschland soll ab dem Jahr 2022 – mit dem (wohl eher langfristigen) Ziel von EU-weit einheitlichen Standards – eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung eingeführt und von einer umfassenden Herkunftskennzeichnung begleitet werden. Angedacht ist, die Landwirte bei dem Umbau hin zu einer artgerechten Nutztierhaltung zu unterstützen. Angestrebt wird die Entwicklung eines durch die Marktteilnehmer getragenen finanziellen Systems, mit dessen Einnahmen die laufenden Kosten der landwirtschaftlichen Betriebe ausgeglichen und Investitionen gefördert werden sollen. Mittels einer noch aufzubauenden Verbraucher-Informationskampagne soll dieser Umbau der Tierhaltung zu mehr Tiergerechtheit begleitet werden. All das bleibt ebenfalls vergleichsweise vage.
Den Koalitionären schwebt weiterhin vor, die Tierbestandsentwicklung (noch stärker) an der verfügbaren Fläche zu orientieren und mit „den Zielen des Klima-, Gewässer- und Emissionsschutzes (Ammoniak/Methan)“ in Einklang zu bringen. Ebenso sollen neue Prüf- und Zulassungsverfahren für Stallsysteme und Betäubungsverfahren eingeführt sowie die Rechtsvorschriften zum Schutz vor Bränden und technischen Störungen in Ställen verbessert werden.
Mit Blick auf die Themenbereiche Tiergesundheit und Tiertransporte heißt es weiterhin: „Wir erarbeiten eine Tiergesundheitsstrategie und etablieren eine umfassende Datenbank (inkl. Verarbeitungsbetriebe tierischer Nebenprodukte). Wir werden den wirkstoff- und anwendungsbezogenen Antibiotikaeinsatz in landwirtschaftlichen Betrieben erfassen und senken.“ Lebendtiertransporte in Drittstaaten sollen künftig nur erlaubt werden, wenn sie auf Routen stattfinden, entlang derer sich nachgewiesenermaßen tierschutzgerechte Versorgungseinrichtungen befinden. Die Anbindehaltung soll nach dem Willen der Koalitionäre spätestens in 10 Jahren beendet sein.
In der Summe bekennt sich die Koalition zwar zu dem Umbau der Tierhaltung in Deutschland und zu einer entsprechenden Unterstützung der Landwirte bei dem Umbau, Aussagen zu den zeitlichen Horizonten, zu der Ausgestaltung von Maßnahmen und der Finanzierung finden sich aber nicht.
Die Zukunft wird zeigen, ob es der neuen Bundesregierung gelingt, das vom Grünen-Chef Robert Habeck angesprochene „Artensterben und Höfesterben“ zu beenden und unter Sicherstellung einer weiterhin lebendigen Natur in eine lebendige Landwirtschaft zu überführen.
[1] Der integrierte Pflanzenschutz ist eine Kombination von Verfahren, bei denen unter vorrangiger Berücksichtigung biologischer, biotechnischer, pflanzenzüchterischer sowie anbau- und kulturtechnischer Maßnahmen die Anwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß begrenzt wird.
[2] Die meisten in der Landwirtschaft verwendeten Herbizide sind „selektiv“, d. h. sie wirken nur gegen bestimmte Pflanzenarten (z. B. Gräser, also einkeimblättrige, oder gegen zweikeimblättrige Pflanzen). Totalherbizide wirken dagegen auf sämtliche Pflanzen, es sei denn, diese sind gentechnisch verändert und damit von der Herbizidwirkung nicht betroffen.
[3] Einige dieser neuen Verfahren lösen an einer ganz bestimmten Stelle eines vorher bekannten Gens punktuelle Mutationen aus, andere können zielgenau einzelne Gensequenzen und damit die Ausprägung bestimmter Eigenschaften blockieren. Darüber hinaus werden auch Verfahren weiterentwickelt, die einen Gentransfer ermöglichen. Alle diese Verfahren bedienen sich molekulargenetischer Werkzeuge. Bis heute ist aber nicht endgültig geklärt, ob diese Verfahren als Gentechnik zu werten sind.