23. Februar 2017

Milchpreise an Warenterminbörse absichern?

DIALOG MILCH im Gespräch mit Prof. Dr. Holger D. Thiele,
Fachhochschule Kiel und Institut für Ernährungswirtschaft (ife) Kiel.

Foto: Prof. Dr. Thiele

Stark schwankende Milchpreise und wiederkehrende Marktkrisen sind eine große Herausforderung für den Milchsektor. Als Mittel zur Absicherung der Auszahlungspreise für Milch wird immer öfter auch der ‚Handel‘ von Milch an der Warenterminbörse gefordert. Was ist damit gemeint? Wie funktioniert ein solcher ‚Handel‘  in der Praxis? Und warum gibt es außer den vehementen Befürwortern auch Skeptiker und strikte Gegner?

DIALOG MILCH: Herr Professor Thiele, was genau versteht man – in einfachen Worten – unter einer ‚Warenterminbörse’ und wie funktioniert sie?

Prof. Dr. Thiele: „Anders als der Begriff vermuten lässt, findet an einer Warenterminbörse normalerweise kein Warenhandel statt. Stattdessen werden an Warenterminbörsen standardisierte Kontrakte gehandelt. Mit diesen können Marktteilnehmer Kauf- und Verkaufspreise für einen zukünftigen Termin sichern. An der Warenterminbörse in Paris (Matif) beispielsweise werden Kontrakte auf zukünftige Einkaufs- und Verkaufspreise von Weizen, Raps und anderen landwirtschaftlichen Gütern abgeschlossen. An der Warenterminbörse in Leipzig, der EEX (European Energy Exchange AG), ist seit 2010 der Handel mit Futures, also auf Einkaufs- oder Verkaufspreis für Milchprodukte möglich. Angeboten werden Kontrakte auf Butter, Magermilchpulver und Molkenpulver mit einer Kontraktgröße von 5 t und einer maximalen Laufzeit von 18 Monaten. Außer an der EEX in Leipzig ist ein solcher Warenterminhandel auf Milchprodukte in Europa noch an der Euronext in Amsterdam möglich. Allerdings: der Handel mit den genannten Produkten findet in Europa derzeit ausschließlich an der EEX in Leipzig statt. Dort gilt das sogenannte ‚Cash-Settlement’, das heißt es kann keine Ware physisch am Terminmarkt angedient werden. Das macht den Umgang mit Pulver- und Butterkontrakten für viele Marktteilnehmer einfacher.“

…und wie funktioniert das Instrument zur Preisabsicherung in der Milchwirtschaft?

Prof. Dr. Thiele: „Durch den Verkauf von Milchprodukten für Liefertermine, die in der Zukunft liegen, vereinbaren der Landwirt oder die Molkerei einen festen Preis für das jeweilige Milchprodukt zu dem vereinbarten Liefertermin. Für die Sicherung eines Preises für 100 t Flüssigmilch müsste ein Landwirt zwei Magermilchpulver- und einen Butterkontrakt handeln. Das Ziel ist die Sicherung eines bestimmten Preises, aber natürlich liegt darin auch ein gewisses Risiko. Dabei sind immer Kassa- und Börsengeschäft parallel zu betrachten. Erfolgt die Preissicherung an der Börse in Höhe der monatlichen Milch- oder Milchproduktemenge oder darunter, dann spricht man von einem reinen Absicherungsgeschäft. An der Börse nennt man dies ‚Hedge-Geschäft’. Handelt man indessen, ohne ein Gegengeschäft mit tatsächlich existierenden Gütern, spricht man von Spekulationsgeschäften. Landwirte oder Molkereien, die an der Börse bestimmte Mengen preislich absichern, sind Beispiele für klassische ‚Hedger’.“

Wie sieht es in der Praxis aus? Was sind die Vorteile und Risiken?

Prof. Dr. Thiele: „Mehr und mehr Molkereien und Milcherzeuger sehen die möglichen Vorteile von Terminkontrakten an der Börse und nutzen diese zur Unterstützung ihres Managements von einem zunehmenden Milchpreisrisiko. Das gehandelte Volumen der EEX Milchkontrakte in Leipzig belief sich in 2016 auf rund 53.000 t Magermilchpulver und 30.000 t Butter. Das sind im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Gütern an der Warenterminbörse keine großen Mengen. Aber die Volumen sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Bereits jetzt liegt das in 2017 gehandelte Volumen mit knapp 11.000 t Magermilchpulver und 8.500 t Butter sehr deutlich über dem Vorjahreszeitraum.“

…können Sie uns konkrete Beispiele nennen?

Prof. Dr. Thiele: „Wenn an einem Tag im Februar an der EEX in Leipzig für einen Lieferzeitpunkt, zum Beispiel im Juli, Magermilchpulver für 2.200 Euro je Tonne und Butter für 4.100 Euro je Tonne verkauft werden können, dann entspricht dies einem sogenannten ‚Kieler Börsenmilchwert’ – berechnet nach dem Verfahren, gemäß dem das ife in Kiel den Rohstoffwert ermittelt – in Höhe von 34,5 Cent je kg Milch. Der Landwirt sichert sich folglich den Verkaufspreis in Höhe von 34,5 Cent je kg Milch für den Monat Juli. Schwächt sich bis zum Juli der Milchmarkt ab und sinkt der Kieler Börsenmilchwert auf Basis der EEX Kontraktpreise um 2 Cent je kg und sinkt gleichzeitig auch der Erzeugerpreis der Molkerei, der sogenannte Kassamarktpreis, dann kann der Landwirt den 2 Cent-Verlust am Kassamarkt (Erzeugerpreis der Molkerei) durch den 2 Cent-Gewinn an der Börse ausgleichen. Sein Gesamterlös beträgt dann zusammengenommen wieder 34,5 Cent pro kg Milch – abzüglich der Kosten des Absicherungsgeschäfts, also der Gebühren der Börsenabsicherung, die vom Broker der Bank und der Börse erhoben werden. Die Gebühren für das komplette Geschäft variieren und liegen derzeit bei umgerechnet etwa 0,15 Cent je kg Milch.“

…und das Risiko der Preisabsicherung?

Prof. Dr. Thiele: „Nun, das Risiko besteht natürlich darin, dass sich die Kassamarkt- und Börsenmarktpreise unterschiedlich entwickeln können. Man spricht vom sogenannten ‚Basisrisiko’. Das ist der Fall, wenn, zum Beispiel, der Erzeugerpreis der Molkereien um 2 Cent sinkt und der Rückkauf der Kontrakte an der Börse ein Minus von 1 Cent je kg erzeugt, weil die Börsenmilchwerte abgeleitet aus den EEX-Kontrakten um 1 Cent gestiegen sind. Dann erhöht sich der Verlust des Landwirts um 1 Cent zuzüglich der anfallenden Gebühren.“

Werden bereits Rohmilchkontrakte an der Terminbörse gehandelt?

Prof. Dr. Thiele: „Grundsätzlich können Flüssigmilchpreise bereits über die Umrechnung zum Kieler Börsenmilchwert aus den EEX-Magermilchpulver- und Butterkontrakten abgesichert werden. Täglich können diese Werte auf der ife Instituts-Webseite kostenfrei eingesehen werden. Unsere Marktbeobachtung zeigt, dass die Anzahl der europäischen Landwirte, die diesen Mechanismus nutzen, kontinuierlich zunimmt. Allerdings weicht der Kieler Börsenmilchwert von den Milcherzeugerpreisen der Molkereien mal mehr und mal weniger ab. Ein direkter Rohmilchkontrakt – ohne Umrechnung über den Kieler Börsenmilchwert – wäre vermutlich dichter an den Erzeugerpreisen der Molkereien. Dies und das zunehmende Interesse an Festpreisen für Milcherzeuger dürfte der Grund dafür sein, dass die europäische Warenterminbörse EEX in Leipzig derzeit ergebnisoffen die Einführung eines Rohmilchkontraktes prüft.“

Warum hat sich die Preisabsicherung über Warenterminbörsen noch nicht auf breiter Front durchgesetzt? Sollte es sich breiter durchsetzen? Und wenn ja, wie könnte dies erreicht werden?

Prof. Dr. Thiele: „Die Milchwirtschaft in Europa muss sich derzeit nach mehr als 30 Jahren staatlicher Mengensteuerung neu finden. Aktuell sind wir am Beginn des dritten Jahres dieser Neu-Etablierung der Milchbranche ohne europaweite Mengensteuerung. Auch die Deregulierung durch Absenkung der Mindestpreise für Milch bzw. der Interventionspreise für Milchprodukte existiert erst seit 2007. Die Milcherzeuger konnten lange Jahre mit vergleichsweise geringen Preisrisiken des Milchmarktes leben. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Aber nicht nur, weil die Preisschwankungen bei Milch stark zugenommen haben. Sondern auch, weil die Milcherzeuger durch hohe Investitionen und Wachstum eine geringere Liquidität als in früheren Jahren aufweisen. Wie bei anderen Agrarprodukten braucht es auch in der Milchbranche ein viel differenzierteres Risikomanagement. Zu den wichtigen Instrumenten in diesem Bereich zählt die  Warenterminbörse. Vor diesem Hintergrund wäre es gut für die Branche, wenn sich dieses Instrument breiter durchsetzen würde. Insbesondere Molkereien können hier interessante Festpreisvarianten für die Landwirte anbieten oder aber auf der Absatzseite eine neue Art der Preisabsicherung betreiben. Freilich: Die Nutzung der Milchterminkontrakte an der EEX in Leipzig setzt ein Grundwissen voraus, wie diese Instrumente funktionieren, was sie leisten können und was nicht. Nur dann kann man die Börse professionell für das Risikomanagement nutzen. Hier ist also auch Ausbildung gefragt, die es ermöglicht, Chancen und Risiken sehr klar abzuwägen. Etwas Geduld muss auch sein, denn auch bei anderen Risikomanagementinstrumenten, wie dem Weizenterminkontrakt in Paris, hat es über zehn Jahre gedauert bis eine breite und sehr erfolgreiche Nutzung erfolgte.“

Wie sehen Sie die Zukunft der Preisabsicherung in der Milchwirtschaft durch Warenterminbörsen in Deutschland? Haben Sie Empfehlungen?

Prof. Dr. Thiele: „Ich gehe davon aus, dass die börsenbasierte Preisabsicherung auf dem Milchmarkt in Europa in wenigen Jahren schon genauso ‚normal’ ist, wie etwa der Warenterminhandel von Weizen und Raps. Diese Veränderung dürfte einhergehen mit Veränderungen bei den Lieferkontrakten zwischen Milcherzeugern und Molkereien. Die Empfehlung an alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette Milch lautet daher:

·         Grundwissen über Milchterminmärkte aneignen!

·         Chancen und Risiken klar einschätzen können!

·         Preissicherungsstrategien auf Basis börslicher Milchterminkontrakte mit den Handels- und Marktpartnern oder intern                     entwickeln!

·         Bei Preisabsicherungsstrategien immer auch die Liquidität und den ‚Cash-Flow’ im Auge behalten!“

DIALOG MILCH: Vielen Dank für das Gespräch.

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Aktueller Publikationshinweis:

Marktbericht der EU-Kommission: „Managing risk in the dairy sector: How futures markets could help“ (No 11/March 2017). Der Bericht gibt Einblicke in die Praxis. Er vergleicht die Verwendung von Milchfutures in der Europäischen Union, in den USA sowie in Neuseeland und identifiziert die bisherigen Hindernisse in Europa für die Entwicklung von Futures-Märkten.

Mehr Informationen zu den Agricultural Markets Briefs and Reports

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