30. Juni 2021

„Die Milch macht´s“ war gestern – und was ist heute?

In den 1950er Jahren, in der Nachkriegszeit und der Zeit des Wirtschaftswunders, hatte die Milch ein sehr gutes Image, was sich nicht zuletzt im damaligen Werbeslogan „Milch macht müde Männer munter“ widerspiegelt. Auch die Aussage des aus den 1980er Jahren stammenden Spruchs „Die Milch macht’s“ stellte lange niemand in Frage.

Und heute? Heute soll die Milch krank machen, ihre Erzeugung soll zu einem großen Teil für Umwelt- und Klimaprobleme verantwortlich sein und Landwirte werden als Tierquäler beschimpft. Wo liegt die Ursache dieses radikalen Imagewandels? Wie häufig gibt es nicht den einen Grund, sondern viele, die sich über die Jahrzehnte hin entwickelt haben. Hinzu kommt, dass unterm Strich der überwiegende Anteil der Menschen, Milch und Milchprodukte immer noch als wichtigen Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung ansieht. Hier stellt sich die Frage: Sind diese Menschen nur nicht laut genug?

Milchwerbung aus den 1960er

 

Milch ist nicht mehr in aller Munde

Nach dem Wegfall der großen Werbeetats der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH (​CMA) in 2009 ist die Milch immer mehr in den Hintergrund geraten. Sie kommt den Menschen als relevantes Lebensmittel oft nicht mehr als erstes in den Sinn. Hinzu kommt, dass der Bezug zur Landwirtschaft bei einem großen Teil der Bevölkerung verloren gegangen ist – selbst bei Menschen, die auf dem Land leben. Die Vorstellung von der heutigen Milchwirtschaft resultiert oft noch aus Bildern aus früheren Zeiten oder aus der Werbung. Werden dann Medienberichte veröffentlicht, die nicht mit diesen Bildern übereinstimmen, kommt es schnell zu Kritik und Verurteilungen. In der Landwirtschaft wurde in den letzten Jahren erkannt, dass viele Probleme und Missverständnisse aufgrund einer mangelnden Kommunikation mit den Verbrauchern entstanden sind. Aufgrund dessen machen immer mehr Landwirte für sich und ihre Produkte Öffentlichkeitsarbeit – denn gerade sie können authentisch über ihre Arbeit berichten.

Ist Milch (un)gesund?

Wurde die Milch in der Nachkriegszeit als nahrhaftes Lebenselixier gehuldigt, bröckelte ihr Zuspruch mit wachsendem Wohlstand und steigenden Zahlen an übergewichtigen Menschen, Herz-Kreislauf-Erkrankten und Allergikern. In den 1990er-Jahren wurden das Milchfett und das Cholesterin in der Milch als vermeintliche Mitverursacher von Herzinfarkt und Schlaganfall an den Pranger gestellt. Milch & Co. mussten bevorzugt als „Light-Version“ daher kommen und Margarine ersetzte die „gute Butter“. In darauffolgenden Jahren lag das Augenmerk auf dem Milcheiweiß als Auslöser von Allergien und auf dem Milchzucker, der zu Unverträglichkeit bei genetisch veranlagten Menschen führen kann. Laktosefreie Milch und Milchprodukte kamen Anfang dieses Jahrhunderts auf den Markt und sind heute bedeutende Vertreter der sogenannten „frei von“-Produkte.

Und was sagt die Wissenschaft dazu?

Das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel kam 2016 zu dem Ergebnis, dass sich die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlene tägliche Konsummenge von 200-250 g Milch und Milchprodukten sowie 50-60 g Käse positiv auf die Gesundheit des Menschen auswirkt. Die Auswertung mehrerer großer wissenschaftlicher Studien zum Thema „Milch und seine Auswirkungen auf den Menschen“ zeigte zudem, dass bei den üblichen Verzehrmengen die Milch sogar das Risiko verschiedener Erkrankungen senken kann, z.B. von Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Dickdarmkrebs und Osteoporose. Der Grund bei den beiden zuletzt genannten Erkrankungen liegt im hohen Calciumgehalt der Milch. Calcium kann bei Dickdarmkrebs das Wachstum der Tumorzellen bremsen. Durch den Aufbau einer altersgemäßen Knochendichte ist eine ausreichende Calciumzufuhr hinsichtlich einer Osteoporose-Entstehung positiv zu bewerten. Nur bei Prostatakrebs konnten Wissenschaftler ein erhöhtes Erkrankungsrisiko feststellen, wenn dauerhaft mehr als ein Liter Milch pro Tag konsumiert wird.

 

Liegt Milch heute nicht mehr im Trend?

Esskulturen wandeln sich stetig – genauso wie die Gesellschaften, in denen sie sich entwickeln. Gründe hierfür sind zum Beispiel klimatische, soziale oder politische Faktoren. „Die sogenannten Food-Trends (Lebensmitteltrends) zeigten sich erst als Phänomene von „Wohlstandsgesellschaften“, in denen Lebensmittel nicht nur ernähren sollen, sondern andere Werte erfüllen müssen, die vielfältig sind“. (Quelle: Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler/Zukunftsinstitut)

Wie es bereits 1850 der Philosoph Ludwig Feuerbach mit seiner Aussage „Der Mensch ist, was er isst“ zum Ausdruck brachte, definieren sich heute viele Menschen über ihren Ernährungsstil. Bestimmte Ernährungstrends sorgen dafür, dass man sich mit Gleichgesinnten einer Gruppe zugehörig fühlt und sich von anderen abgrenzen kann. Vielen Veganern geht es in erster Linie darum, dass ihre Nahrung nicht vom Tier kommt. Dass viele vegane Angebote stark verarbeitet oder auch „Kunstprodukte“ sind – z. B. „Kunstfleisch“ oder “Milchersatzprodukte“ –, sieht der größere Teil der Veganer nicht als Problem, sondern eher als Bereicherung seines Speiseplans. Dagegen käme es Anhängern von „Clean Food“, die natürliche Lebensmittel bevorzugen, niemals in den Sinn, zu solchen Industrieprodukten zu greifen. Für Käufer von Bio-Lebensmitteln wiederum ist ein nachhaltiger Lebensstil wichtig. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung relevanter Foods-Trends von heute auf.

Tabelle: Entwicklung relevanter Foods-Trends

Branchentrend Zugehörige Food-Trends bis heute
Ethno Food =

Küche anderer Länder /Kulturkreise

Anfänge in 1960er: Fondue, Cocktailparty;
1970er: Kebab, Pizza, Pasta;
1980er: China-Restaurants;
1990er: Sushi/Thailändisch;
2000er: Wok-Küche;
2015: Neue Levante-Küche (östliche Mittelmeerküche, z.B. Libanon) und Cocina Novoandina (Andenraum v.a. Peru)
Bio Food =

Konsum gering ver-arbeiteter Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft

Anfänge in 1960er: Naturkost (Hippies);
1980er Beginn in BRD mit Boom in 1990er;2005: True Food = Einblick in die Gastronomieküche und Präsentation von Waren im Rohzustand (Gemüse mit Wurzeln, Rinderhälfte im gläsernen Kühlschrank) und

Wild Food = selbst ernten, sammeln von Wildfrüchten und -kräutern, selbst fischen

2010: Urban Gardening = Landwirtschaft in der Stadt

2015: Meet Food = Essen erleben – z. B. in Markthallen mit Kochshows etc.

Vegetarismus =

Verzicht auf Fleisch aller Tierarten

Veganismus = Verzicht auf jegliche Produkte tierischer Herkunft

1990er: Anfänge des Vegetarismus;
2010er: Veganismus; 2010er: Flexitarier = wenig Fleisch und wenn, dann hochwertiges Fleisch

2010er: Spiritual Food (z. B. halal, koscher) = bewusste Auswahl basierend auf bestimmten Werten

2020: Plant based Food = pflanzenbasierende Ernährung

2020: Beyond Food = Lebensmittel-Ersatzprodukte, z. B. „Fake“-Fleisch und pflanzliche “Milchersatzprodukte“

Health Food =

Gesundheitsaspekte stehen im Vordergrund

 

1990er: Light-Produkte (z. B. wenig Fett, Zucker oder Alkohol)

2000er: Functional Food (z. B. Probiotika) = erfüllen zu ihrem reinen Nährwert noch einen gesundheitlichen Nutzen

2010er: Superfoods (z. B. Chiasamen) = angeblich höherer gesundheitlicher Nutzen

2015: Free-from-Produkte = frei z. B. von Laktose oder Gluten

2015: Clean Food = Bevorzugung natürlicher Lebensmittel

2020: De-Processing = Supermärkte stellen Lebensmittel als gesund, frisch, unbehandelt und regional heraus

2020: Healthy Hedonism = lecker und gesund essen; vorwiegend pflanzlich

DIY Food =

Selbst kochen und neue Rezepte kreieren

1990er: Kochen mit exotischen Früchten;
2005: „Cup-Cakes-Boom“ = „Tassen-Kuchen“;
2010: Food Trucks = Imbisswagen und Street Food = „auf der Straße angeboten“; 2015: Craft Beer = „handwerklich“ produziertes BierTrendverstärkung durch die Corona-Pandemie
Regional/Local Food =

Regionale Lebensmittel

Anfänge in 2000er;
2015: Brutal lokal = „Vor der Haustür“ und saisonalTrendverstärkung durch die Corona-Pandemie

In der Ernährung jedes Einzelnen spielen jedoch immer mehrere Food-Trends in unterschiedlicher Ausprägung eine Rolle. Dass auch die Kaufmotive für bestimmte Lebensmittel ganz verschieden sein können, wird in dem vom Bundesernährungsministerium herausgegebenen Ernährungsreport 2021 aufgezeigt. Auf die Frage „Warum sie vegetarische bzw. vegane Alternativen zu tierischen Produkten gekauft haben“, antworteten fast zwei Drittel der 1.000 Befragten, dass sie dies aus Neugierde getan haben. 59 % der Verbraucher gaben als einen Grund Tierwohl und 54 % Umweltschutz an und 56 % benannten Geschmack und 47 % Gesundheit als ein Motiv.

Grafik: Kaufmotive für vegetarische/vegane Ersatzprodukte; Ernährungsreport 2021, BMEL

Als Fazit lässt sich zusammenfassen: Milch und Milchprodukte können zwar nicht mehr für jeden Verbraucher trendig sein. Für Menschen, die auf eine ausgewogene Ernährung und auf qualitativ hochwertige und schonend verarbeitete Lebensmittel aus der Region Wert legen, stehen sie immer noch selbstverständlich auf dem täglichen Speiseplan. Und diese machen nach wie vor den Großteil der deutschen Verbraucher aus.