21. März 2018

Die aktuelle Situation ist nicht einfach und die Kritik ist laut: Rund 380.000 Tonnen Milchpulver hat die EU aufgekauft und eingelagert – als Reaktion auf die Steigerung der europäischen Milchproduktion und den Einbruch der Milchpreise nach dem Ende der Milchquote im Jahr 2015. Was soll mit diesem Milchpulver passieren – und welche Folgen hat dessen Export gegebenenfalls für die Länder Afrikas? Eine Spurensuche:

Für Volker Seitz [1] ist die Sache eindeutig: „Billige Milchimporte aus Europa gefährden Milchbauern in Afrika. (…) Afrika ist der wichtigste Absatzmarkt für Trockenmilch aus der EU. Das EU-Milchpulver, angereichert mit Pflanzenfetten, ist billiger als die in Afrika produzierte Frischmilch.“ Seitz war von 1965 bis 2008 für das Deutsche Auswärtige Amt tätig und zuletzt Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea. Solange billiges Milchpulver aus Übersee die lokalen Märkte überflute, solange könnten die Bauern in Afrika nicht wettbewerbsfähig sein. „Milchpulver exportieren bedeute „Migranten produzieren“, so Seitz.

Michael Brüntrup, Wissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn, teilt diese Meinung nicht, wenn er feststellt: „Sicher gibt es bei der Landwirtschafts- und Außenhandelspolitik der EU viel Raum für Verbesserungen. Sie ist jedoch derzeit kein großes entwicklungspolitisches Problem[2]. Manche doch sehr plakative Äußerung zu den Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf Afrika wecke ihrerseits die Frage, ob damit ein Feindbild gepflegt und ein Unbehagen an der Globalisierung des Agrarhandels gepflegt werden solle. Brüntrups Fazit: „Dabei dürfte der Agrarhandel für die Ernährungssicherung der Menschheit in Zukunft immer wichtiger werden, wenn nicht Menschen, sondern nur Produkte wandern sollten.“

Rahmenbedingungen in Entwicklungsländern müssen stimmen:

Die Einbindung von Ländern der Dritten Welt in den internationalen Agrarhandel kann einen enormen Beitrag zu deren Entwicklung leisten. Das zeigen erfolgreiche Beispiele aus Südostasien.
Entscheidend ist allerdings, dass auch das politische Umfeld vor Ort stimmt. Zudem braucht es Know-how, qualifiziertes Personal, Infrastruktur und eine effiziente Verwaltung, damit internationale Handelsnormen erfüllt werden können.
Das BMEL fördert deshalb seit 2006 entsprechende Initiativen der Welthandelsorganisation (WTO) und anderer Organisationen, mit deren Hilfe die notwendigen Kapazitäten in den Entwicklungsländern aufgebaut werden sollen.

Was steckt hinter den Zahlen?

Natürlich sind rund 380.000 Tonnen Milchpulver in europäischen Lagerhallen ein Problem. Dies gilt umso mehr, als der Preis für Milchpulver aufgrund des hohen Angebots im letzten Jahr deutlich eingebrochen ist. Und: Trotz des gesunkenen Preises läuft der Absatz der Lagerbestände mehr als schleppend. Die Tatsache, dass die EU ihre Exportsubventionen von rund 10 Milliarden Euro im Jahr 1993 bis heute auf null zurückgefahren hat, um die ungeschützten Märkte der Entwicklungsländer zu entlasten, trägt wohl auch zu diesem schleppenden Abverkauf bei. Derzeit ruhen in Deutschland deshalb viele Hoffnungen auf China; das Land ist laut BMEL [3] der größte Abnehmer außerhalb der EU für Fleisch und Milch aus Deutschland und hat allein im Jahr 2015 Milch und Milchprodukte im Wert von 277 Millionen Euro aus Deutschland importiert.

Zu der Wirkung deutscher Agrarexporte auf die Länder Afrikas stellt das BMEL fest: „Im Jahr 2015 wurden nur 3,0 % der deutschen Agrarprodukte nach Afrika und 0,7 % der deutschen Agrarprodukte in die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) ausgeführt. Dabei entfiel ein Anteil von 1,5 % der deutschen Agrarexporte in Länder Sub-Sahara-Afrikas, wobei hiervon mehr als ein Viertel allein auf Südafrika entfiel.“ Das BMEL kommt deshalb zu dem Schluss, „dass deutsche Agrarexporte in diese Länder kaum negativen Einfluss haben können und demnach auch nicht die heimische Produktion zum Erliegen bringen.“

Engagement in Afrika

Angesichts der lebhaft geführten gesellschaftlichen Debatte ist das Engagement verschiedener Molkereien zum Aufbau und zur Stützung der afrikanischen Märkte erstaunlich wenig bekannt. So haben zahlreiche Molkereien – darunter Arla und FrieslandCampina – Programme und Initiativen zur Stärkung von Milcherzeugung und Molkereiwesen in Entwicklungsländern etabliert. Im Rahmen des Dairy Development Programme [4] kümmert sich FrieslandCampina beispielsweise um landwirtschaftliche Kleinbetriebe unter anderem in Indonesien, Nigeria, Kenia oder Pakistan und setzt sich vor Ort dafür ein, etwa die Milchqualität und die Milchleistung pro Kuh sowie den Marktzugang der regionalen Produkte zu verbessern. Allein im Jahr 2016 wurden mit dem Dairy Development Programme mehr als 18.750 Milchbauern erreicht und zu Themen wie Tierwohl, Milchqualität und Hygiene, Datenmanagement oder Melktechnik geschult.

Kasper Nielsen

Nachgefragt:

Kasper Thormod Nielsen, Leiter Public Affairs Europa bei Arla Foods, im Gespräch zu dem Engagement der Molkereigenossenschaft in Afrika.

DIALOG MILCH: Herr Nielsen, Sie waren bereits mehrfach in Afrika und haben die Projektarbeit von Arla Foods vor Ort kennengelernt. Wo und wie ist Arla Foods in Afrika aktiv?

Kasper Thormod Nielsen: Afrika ist ein Kontinent, der mich nicht mehr loslässt. In den vergangenen Jahren bin ich mehrfach in Nigeria gewesen und habe hier intensive Einblicke in das Land, in die Situation der Menschen vor Ort und natürlich auch in den Milchsektor gewonnen. Dabei ist wichtig, dass, wenn wir über den Kontinent Afrika sprechen, wir differenzieren müssen, um welches afrikanische Land es jeweils geht. Denn da gibt es gravierende Unterschiede; so stehen beispielsweise Kenia und die kenianische Milchwirtschaft um einiges besser da, als Nigeria und der nigerianische Milchsektor. Bei unserer Afrika-Strategie haben wir zunächst Märkte mit einem Milchdefizit identifiziert, auf denen wir nicht in einen Verdrängungswettbewerb mit lokalen Firmen einsteigen. Zudem haben wir eine umfassende Analyse gemacht und untersucht, welche Auswirkungen unser Engagement auf die Menschen vor Ort haben kann. Daraus hat sich ergeben, dass wir unser Geschäft in Westafrika auf Nigeria, Senegal, die Elfenbeinbeinküste und Ghana konzentrieren. Mit Nigeria als Fokusland, in dem wir auch die lokale Milchwirtschaft entwickeln werden. Unser Ziel ist es, diese Erfahrungen dann auch in anderen Ländern zu nutzen. Zusammen mit Partnern wie CARE Dänemark, CIRAD als einer führenden französisch-westafrikanischen Forschungseinrichtung und dem Billital Maroobe Network als Organisation, die rund 500.000 westafrikanische Viehhalter vertritt, haben wir den „Milky Way to Development“ ins Leben gerufen. Bei diesem Gemeinschaftsprojekt geht es um den Aufbau eines eigenen funktionierenden Milchsektors in Westafrika. Dabei konzentrieren wir uns als Arla Foods zunächst auf den Milchsektor in Nigeria. Es geht uns also um echte Partnerschaft für eine positive Entwicklung vor Ort.

DIALOG MILCH: Worin liegt denn der erkennbare Rückstand der nigerianischen Milchwirtschaft begründet?

Kasper Thormod Nielsen: In Nigeria wurde es in den vergangenen 30 Jahren in weiten Teilen versäumt, neben dem boomenden Ölexport auch an den Aufbau anderer Wirtschaftssektoren zu denken und diese zu gestalten. Der verlässliche Zugang zu Land, Wasser und Futter fehlt hier für Viehhalter, die vielfach die Tiere auch eher als Statussymbole verstanden und als Fleischlieferanten gesehen und genutzt haben, beziehungsweise dies teilweise heute noch tun. Als Resultat dieser und vieler weiterer Faktoren ist der Milchsektor in Nigeria bestenfalls rudimentär entwickelt. Aber in den vergangenen Jahren haben wir in Nigeria die Erfahrung gemacht, dass die dortigen Akteure – Regierung, Bauern und Milchindustrie – wirklich etwas verändern wollen, und sehen daher das Potenzial, eine nachhaltige lokale Milchwirtschaft zu entwickeln.

DIALOG MILCH: Welche Rolle spielt der Export von europäischem Milchpulver nach Nigeria in diesem Kontext? Macht nicht die billige Importware alle regionalen Bemühungen zum Aufbau eines eigenen Milchsektors zunichte?

Kasper Thormod Nielsen: Diese Frage wird viel diskutiert und ist auch berechtigt. Allerdings wäre es zu einfach, wenn man den Import europäischen Milchpulvers für den unterentwickelten Milchsektor in Afrika verantwortlich machen würde. Meiner Ansicht nach ist es eher eine Mischung aus zu geringen Investitionen über viele Jahre und der fehlende Fokus der lokalen Milchindustrie gepaart mit sehr schwierigen Produktionsbedingungen in einigen Gegenden, die zu der schlechten Situation geführt haben. Häufig fehlt es an grundlegenden Dingen wie Zugang zu Wasser, Futter und Land. Zudem erschwert die fehlende Infrastruktur den Transport der Produkte vom Land in die Städte. Nehmen wir Nigerias Hauptstadt Lagos als Beispiel, wo wir unsere Produkte verkaufen: Eine der am schnellsten wachsenden Städte mit heute rund 20 Millionen Einwohnern und prognostizierten 40 Millionen in 2050. Hier herrscht ein riesiger Bedarf, der aber weder aus Nigeria noch aus anderen afrikanischen Ländern gedeckt werden kann. Das ist ein Grund, warum Arla Foods hochwertiges Milchpulver in Nigeria vermarktet. Damit leisten wir einerseits einen Beitrag dazu, den Menschen vor Ort die Produkte verfügbar zu machen, die sie benötigen, und andererseits agieren wir für unsere rund 11.000 Genossenschaftsmitglieder, die von uns eine wirtschaftlich sinnvolle Vermarktung der erzeugten Produkte erwarten.

DIALOG MILCH: Wie genau setzt sich Arla Foods für eine Stärkung des nigerianischen Milchsektors ein – und gräbt man dem Absatz des eigenen Milchpulvers damit nicht spätestens langfristig das Wasser ab?

Kasper Thormod Nielsen: Lassen Sie mich auf den zweiten Teil zuerst antworten, mit einem klaren Nein. Der Bedarf allein in Lagos ist so groß, dass auf absehbare Zeit selbst bei größten Anstrengungen für die einheimische Erzeugung keine Chancen dafür bestehen, diesen – ja auch immer weiter wachsenden – Bedarf zu decken. Mit unseren Vorhaben wollen wir dennoch vieles tun, um in Nigeria einen funktionierenden Milchmarkt aufzubauen. Er soll sozialverträglich, umweltschonend und ökonomisch tragfähig wachsen, Einkommensmöglichkeiten schaffen und zunächst auf dem Land und in den kleineren Städten eine regionale Versorgung ermöglichen. Wie auch unsere Partner sind wir davon überzeugt, dass wir mit unserem Wissenstransfer und unserer Unterstützung einen spürbaren Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung des Sektors leisten können – und tatsächlich auch leisten.

DIALOG MILCH: Welche weiteren Schritte wären aus Ihrer Sicht notwendig oder wünschenswert, um Land- und Milchwirtschaft in den Ländern Afrikas weiter voranzubringen?

Kasper Thormod Nielsen: Ich bin davon überzeugt, dass wir nur mit einem fairen Miteinander von den Menschen und ihren Regierungen vor Ort, von NGOs und starken Wirtschaftsunternehmen weiterkommen. Ebenso müssen wir eine Balance zwischen der Befriedigung eines aktuellen Bedarfs über Importe und dem Aufbau eigener Strukturen vor Ort erreichen. Vor diesem Hintergrund halte ich Projekte wie „The Milky Way to Development“ für wegweisend. Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass stabile politische Verhältnisse, ein gut entwickeltes Rechtssystem, Ausbildung und Infrastrukturausbau in den Ländern Afrikas selbst unverzichtbar sind. Ich bemerke den großen Wunsch nach Veränderung, um in Ländern wie Nigeria voranzukommen. Das macht mich zuversichtlich, dass wir einen Unterschied machen können. Aber klar ist auch, dass es vieler Anstrengungen und Zeit bedarf. Dabei ist jeder kleine Schritt, der etwa in unserem Projekt in die richtige Richtung führt, eine Bestätigung dafür, dass Bildung, ausreichendes Einkommen und soziale Sicherheit sich gegenseitig bedingen – und unseren Einsatz mehr als wert sind.

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