4. August 2022

Seit Jahren ist ein stetiges Marktwachstum für laktosefreie Produkte zu beobachten. Aktuelle Verbraucherbefragungen zeigen, dass nur eine Minderheit der Käufer eine nachgewiesene Laktose-Unverträglichkeit hat. Warum gibt es dann eine so hohe Nachfrage nach den mit dem Label „laktosefrei“ beworbenen Produkten, die preislich deutlich höher liegen als vergleichbare Produkte mit Laktose?

Laktoseintoleranz – was heißt das?

Laktose (Milchzucker) ist das Kohlenhydrat der Milch und kommt natürlicherweise nur in Milch und in aus Milch hergestellten Produkten vor. Wenn der Zweifachzucker Laktose aufgrund eines Mangels bzw. Fehlens des Verdauungsferments Laktase gar nicht oder nur in kleinen Mengen gespalten und vom Körper aufgenommen werden kann, gelangt er in tiefere Darmabschnitte.

Hat dies Beschwerden wie u. a. häufige Durchfälle, Blähungen und krampfartige Bauchschmerzen zur Folge, spricht man von einer Laktoseintoleranz (Milchzucker-Unverträglichkeit). Hauptsächlich tritt diese im Erwachsenenalter auf. Betroffen sind schätzungsweise 15 % der Deutschen. Ein Arzt kann durch einfache Tests abklären, ob eine Laktoseintoleranz vorliegt.

Das Ausmaß der Beschwerden ist bei den Betroffenen individuell verschieden und muss nicht unbedingt mit der zugeführten Menge an Laktose zusammenhängen. Daher sollten Laktoseintolerante, die Laktosemenge, die sie noch gut vertragen können, für sich selbst ermitteln. Für viele reicht es bereits aus, wenn sie folgende Tipps befolgen:

  • Milch und Milchprodukte in kleinen Mengen über den Tag verteilt zusammen mit anderen Lebensmitteln in einer Mahlzeit verzehren.
  • Sauermilchprodukte wie Joghurt, Dickmilch, Kefir bevorzugen, da in gesäuerten Produkten die zugegebenen Milchsäurebakterien einen Teil des Milchzuckers abbauen.
  • Hartkäse (z. B. Emmentaler), Schnittkäse (z. B. Gouda) und Sauermilchkäse (z. B. Harzer) wählen, da sie laktosefrei bzw. laktosearm (ca. 0,1 – 0,6 Gramm pro 100 g Käse) sind. Während der Reifung eines Käses wird Laktose abgebaut. Daher gilt, je länger die Reifungszeit ist, desto weniger Milchzucker enthält Käse.

Markt an laktosefreien Produkten boomt

Laktosefreie Produkte gibt es schon sehr lange, allerdings war die Auswahl lange Zeit begrenzt und kaufen konnte man sie fast nur im Spezialhandel, z. B. in Reformhäusern oder Drogeriemärkte. Daher haben viele Laktoseintolerante eher auf Milch(produkte) ganz verzichtet oder den Konsum stark reduziert. Zudem war es für sehr Empfindliche notwendig, die Zutatenliste von verarbeiteten Produkten nach ihrem Gehalt an Milch bzw. Laktose genau zu durchforsten, da es selten auf der Verpackung deutlich gekennzeichnet war.

Heute füllen laktosefreie Produkte ganze Regalwände von Supermärkten und das Label „laktosefrei“ springt einem vielerorts ins Auge. Der Markt an laktosefreien Produkten boomt seit Jahren, ein Ende ist nicht abzusehen.

Laut den statistischen Auswertungen von Statista in 2022 hat sich die Anzahl der Menschen, die täglich laktosefreie Produkte konsumieren, von 2018 bis 2021 auf 770.000 Personen verdoppelt. Im Jahr 2021 kauften 5,5 Millionen  Menschen mindesten einmal im Monat laktosefreie Produkte.

Welche Produkte werden mit dem Label „laktosefrei“ vermarktet?

= Laktosegehalt von unter 0,1 Gramm pro 100 Gramm

Nur für Milch und einige Milchprodukte (z. B. Joghurt oder Buttermilch) sowie für Käse und Käseerzeugnisse gibt es gesetzlich verbindliche Kennzeichnungsregeln. Für die Bewerbung mit Laktosefreiheit ist bei diesen Produkten ein Laktosegehalt von unter 0,1 Gramm pro 100 Gramm vorgeschrieben. Der Laktosegehalt muss angegeben werden. Bei anderen Lebensmittelgruppen mit dem Label „laktosefrei“ wie Wurstwaren, Schokolade oder Zwieback, gibt es keine Vorgabe. Die Hersteller orientieren sich in der Regel aber auch an diesem Wert. Eine Angabe des Laktosegehaltes ist hier freiwillig.

Zunehmend werden auch Produkte mit „laktosefrei“ gekennzeichnet, die von Natur aus keine Laktose enthalten. Dazu zählen beispielsweise diverse Schinken, Kochschinken oder Brot. Auch pflanzliche Milchersatzprodukte wie Hafer- oder Mandeldrinks sind natürlicherweise laktosefrei. Obwohl es hierbei um „Werbung mit Selbstverständlichkeiten“ handelt, ist es gesetzlich erlaubt.

Wer kauft laktosefreie Produkte?

Keine Frage: Laktosefreie Produkte ermöglichen Betroffene, sich vielseitig und vollwertig zu ernähren. Der vollständige Verzicht der nährstoffreichen Lebensmittelgruppe „Milch und Milchprodukte“ kann auf die Dauer zu einem Mangel an wichtigen Nährstoffen führen, wie zum Beispiel an den Vitaminen B2 und B12 sowie an Calcium. Aber, warum greifen auch Verbraucher

ohne bewiesene Laktoseintoleranz nach den doppelt- bis dreifachteuren laktosefreien Produkten, die ihnen keinen gesundheitlichen Vorteil bringen?

Das Hamburger Marktforschungsinstitut SPLENDID RESEARCH ist 2020 im Rahmen einer Umfrage nach den Gründen für den Kauf von laktosefreien Produkten nachgegangen:

  • 21 Prozent der Befragten gaben eine nachgewiesene Laktoseintoleranz an.
  • 55 Prozent verzichten auf Laktose aufgrund einer schlechten Bekömmlichkeit von Essen.
  • 15 Prozent verzichtet solidarisch mit einem laktoseintoleranten Haushaltsmitglied und
  • 9 Prozent folgen hiermit den aktuellen Trend.

Marktanalysen zeigen, dass vor allem Verbraucher mit einem hohen Gesundheitsbewusstsein zu den Käufern zählen. So werden Ernährungsentscheidungen von einer zunehmenden Verbraucherzahl nicht mehr ausschließlich an unmittelbaren Genussbedürfnissen ausgerichtet, sondern sie werden immer stärker durch ein steigendes Gesundheitsstreben beeinflusst. Die Ernährungssoziologin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule ZHAW sieht diesen Trend als einen Ideologie- oder Religionsersatz durch Essen. Das heutige Lebensideal ist, sich bis ins hohe Alter gesund und fit zu halten. Und den Schlüssel zur ewigen Gesundheit suchen viele in der Ernährung – dort, wo sie es mit ihren Kaufentscheidungen in der eigenen Hand haben. Der freiwillige Verzicht auf Lebensmittel oder bestimmte Nahrungsbestandteile ist quasi die Versinnbildung des Gesundheitsstrebens beim Essen. Produkte frei von Laktose oder Gluten, Fruktose usw. suggerieren etwas Gesundes, denn es muss ja einen Grund haben, dass die Produkte sehr viel teurer sind.

Ein weiterer Faktor ist, dass viele Verbraucher von der großen Produktauswahl überfordert sind. Indem man nach dem vermeintlichen gesünderen Produkt greift, verschafft man sich Ordnung in der Komplexität.

Fazit: Eine ausgewogene Ernährung mit Milch und Milchprodukten ist auch mit einer bestehenden Laktoseintoleranz gut möglich. Nur für eine Minderheit der Fälle ist es notwendig, auf das spezielle laktosefreie Produktangebot auszuweichen. Ein kompletter Verzicht auf Milch und Milchprodukte ist nicht empfehlenswert, da die Langzeit-Versorgung mit wichtigen Nährstoffen schwierig werden kann.

Schlagwörter