15. Juni 2016

Neue Richtungen denken – Wirtschaftliche Milcherzeugung auf sich wandeln­den Märkten – Eine Herausforderung für Erzeuger und Wissenschaft

Kurzbeitrag von Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Thünen-Institut,
Wissenschaftliches Fachgespräch von Bündnis 90/Die Grünen, Berlin, 15.04.2016

Kernaussagen

 

Wie wird sich der Milchmarkt entwickeln?

Weltweit wächst der Verbrauch an Milchprodukten um ca. 2% pro Jahr. In Deutschland und der EU wächst der Verbrauch ebenfalls, aber langsamer. Seit dem Fortfall der Exportsubventionen produziert die EU zu Weltmarktpreisen. Solange die EU dabei Exporteur bleibt, können sich die Binnenmarktpreise kaum vom Weltmarkt abheben, denn der Preisanstieg würde durch die Umlenkung von Exportmengen in die (vorübergehend) lukrati­vere Binnenmarkt-Verwertung gleich wieder zerstört. Die EU hat ihre Position als Nettoexporteur auf den internationalen Milchmärkten ausgebaut. Der Selbstversorgungsgrad stieg zwischen 2009 und 2015 von 109 auf 113 Prozent.
Beim Netto-Export liefert sich die EU ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Neuseeland (ca. 10 Mrd. US$ p.a.). Dahinter folgen mit weitem Abstand die USA (3 Mrd. $) sowie Argentinien und Australien (<2 Mrd. $). Zu beachten sind vor allem die USA, deren Nettoexport aktuell rasch ansteigt. Die aktuelle Marktkrise hat Ursachen auf der Angebots- und Nachfrageseite. Bei der Nachfrage ist v. a. das Russland-Embargo, die übergroßen China-Importe 2014 und die Krisen im arabischen Raum zu nennen, beim Angebot v.a. der Produktionszuwachs nach dem EU-Quotenende. Die Krise führt weltweit zu einem Ausstieg von Milcherzeugern. Dadurch werden die Weltmarkt­preise wieder ansteigen, was dann die nächste Welle auslöst (Produktionsanstieg, Preistief). Es gibt bisher keine Indizien, dass die EU bei diesem Auf und Ab Weltmarktanteile verlieren würde. Der permanente Wettbewerb zwischen den Milcherzeugern (national wie international, mit oder ohne Quote) treibt den Agrarstrukturwandel an, der durch immer größere Tierbestände, immer höhere Tierleistungen und regionale Konzentration gekennzeichnet ist. Damit wird auch die Milchproduktion Gegenstand der kritischen gesellschaftlichen Debatte um die „Massentierhaltung“. Die Kritik bezieht sich auf sehr unterschiedliche Aspekte, z. B. kein Weidegang, kurze Lebenszeit, Antibiotika, Treibhausgas-Emissionen, Gesundheitswirkungen. Wie sich diese Debatte auf den Markt auswirkt, ist noch unklar. Einerseits profitieren Milchfrisch­produkte und Käse von den Imageproblemen bei Fleisch (pro vegetarisch), andererseits können sie aber auch selbst ins Abseits geraten (pro vegan; pflanzlicher Fleisch- und Milchersatz). Milch vorrangig vom Grünland erzeugen?

In Deutschland hat der Grünlandanteil an der landwirtschaftlich genutzten Fläche in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen. Mehr als drei Viertel der noch verbliebenen Grünlandflächen liegen in Schutzgebieten oder auf sensiblen Standorten mit gesellschaftlichen, umweltbezogenen Anliegen. Milchproduktion wanderte bisher tendenziell aus grünlandarmen in grünlandreiche Regionen, doch wurde in diesen Zuwanderungsregionen besonders viel Grünland umgebrochen. In einigen grünlandstarken Mittelgebirgsregionen ist Milchproduktion hingegen auf dem Rückzug. Weniger als die Hälfte des Grünlandaufwuchses Deutschlands wird von Milchkühen gefressen. Insbesondere für die extensiveren Grünlandstandorte sind andere Nutzungsformen wichtiger. Die fortlaufende Vergrößerung der Bestandsgrößen wirkt sich für den Weidegang von Milchkü­hen nachteilig aus. Während in den Größenklassen mit weniger als 200 Kühen/Bestand etwa jede zweite Kuh weidet, tut dies in Beständen mit über 500 Kühen noch nicht einmal jede zehnte Kuh.

Gruppiert man in deutschen Beratungsringen die Betriebe nach der Milchleistung je Kuh, so zeigt sich seit vielen Jahren, dass mit zunehmender Milchleistung die Kosten je kg Milch sinken und die Gewinne steigen. Das gilt bis in die höchsten Milchleistungsklassen (>10.000 kg Milch / Kuh).
Andererseits zeigen Analysen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Milcherzeugung, dass Länder mit Low-input-Systemen (Neuseeland, Irland) eine besonders wettbewerbsfähige Milchviehhaltung aufweisen. Innerhalb Neuseelands zeigen vergleichende Analysen für verschiedene Intensivierungsstufen, dass sich bei einer Intensivierung Zusatzkosten und Zusatzerlöse ungefähr die Waage halten. Die meisten Landwirte bleiben beim klassischen Low input-System (nur Weide, strenge Saisonalität). Für Irland zeigten Betriebsvergleiche, dass der Kraftfuttereinsatz im dortigen saisonalen Produk­tionssystem nicht rentabel ist. Modellanalysen für Nordirland legen nahe, dort nur bei niedrigen Milchpreisen auf Kraftfutter zu verzichten, ansonsten eher eine mittlere Intensität anzustreben.

Wenn in der deutschen Debatte über die Zukunft der Nutztierhaltung über die Milcherzeugung gesprochen wird, rangiert bei den gesellschaftlichen Erwartungen das Thema „Kühe gehören auf die Weide“ ganz oben. Hieraus ergeben sich Chancen für eine Marktsegmentierung. Allerdings waren Versuche der Molkereiwirtschaft, sich hier mit entsprechenden Labeln im Markt zu positionieren und Mehrerlöse zu erzielen, nur teilweise erfolgreich. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass Begriffe wie Weide- oder Alpenmilch nicht klar geregelt sind und das Risiko einer Verbrauchertäuschung besteht.

Handlungsempfehlungen

Politik und Wirtschaft haben zwar auf die kritische Debatte zur Zukunft der Nutztierhaltung reagiert, doch muss bezweifelt werden, dass sich mit der Vielzahl der (unkoordinierten) Einzel­aktivitäten das Ziel einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung erreichen lässt. Daher wird auch an dieser Stelle vorgeschlagen, eine nationale Nutztierstrategie auf den Weg zu bringen. Dazu müssten folgende Fragen geklärt werden:
(a) Wer steuert den Prozess, wer wird beteiligt, und wie wird die öffentliche Kommunikation gestaltet?
(b) Wie kommen wir zu Leitbildern für die verschiedenen Zweige der Nutztierhaltung?
(c) Wie sieht der „wirtschaftliche Kern“ der Strategie aus, d.h. wer ersetzt den Landwirten die Mehrkosten, die bei einem Abweichen vom „globalen Mainstream“ unweigerlich entstehen?
(d) Über welche konkreten Etappenziele sollen die Ziele angesteuert werden?
(e) Wie wird ein Monitoring gestaltet, mit dem die Öffentlichkeit nachverfolgen kann, in welchen Punkten die Zielerreichung gelingt und in welchen Punkten ggf. nachjustiert werden muss.

Die Nutztierstrategie der Deutschen Agrarforschungsallianz hat bereits 2012 gezeigt, welche Bei­träge die Wissenschaft leisten kann, um eine derartige Strategie zu unterstützen. Das BMEL hat einige vielversprechende Konzepte finanziell gefördert (z.B. Analyse gesellschaftlicher Erwartun­gen), in anderen Bereichen besteht aber noch Bedarf an Forschungsförderung (z.B. Monitoring).

Mit Blick auf die grünlandbasierte Milchviehhaltung ist vor allem auf Forschungsansatz 4B der DAFA-Strategie hinzuweisen („Optimierung von Produktionssystemen mit hohen und mittleren Milchleistungen“). Es ist fraglich, ob die bisher geförderten Projekte eine hinreichende Unter­stützung für jene Landwirte bieten, die ihre Milchviehhaltung weidebasiert und mit reduziertem Kraftfuttereinsatz betreiben wollen. Zu erwägen wäre, an einigen Standorten in Deutschland „Betriebspaare“ zu etablieren, bei denen je ein intensives und ein extensives Haltungssystem (a) in sich optimiert und (b) vergleichend analysiert wird. Solche Konzepte erfordern von Beginn an einen sehr langen Atem und können nicht mit der heute üblichen (kurzatmigen) Forschungsförderung gestemmt werden.

Die Europäische Agrarpolitik könnte eine wesentlich stärkere Steuerungswirkung auf Nutztier­haltung und Grünlandnutzung ausüben. Gewisse Möglichkeiten einer Umsteuerung sind bereits jetzt vorhanden, und sie könnten bei der nächsten GAP-Reform erweitert werden.  Damit stellt sich dann aber erneut die Frage, ob man überhaupt Leitbilder ansteuern möchte, und wenn ja, welche. Da es unwahrscheinlich ist, dass wir in der Nutztierfrage zu einem EU-wei­ten Leitbild kommen, welches zugleich auch der gesellschaftlichen Debatte in Deutschland gerecht werden kann, landen wir abermals beim Thema „nationale Nutztierstrategie“.

 

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