10. Februar 2020

Traktorkorsos in den Städten, grüne Kreuze auf den Feldern: Landwirte suchen den Dialog mit Politik und Gesellschaft

Seit den ersten Berichten über demonstrierende Landwirte und Traktorenkorsos in Bonn, Berlin und vielen weiteren Städten ist schon wieder einige Zeit ins Land gegangen. Die Politik hat die Signale aufgenommen und befasste sich, nicht nur während der Internationalen Grünen Woche 2020, intensiv damit. Warum und wofür aber genau haben die Bauern demonstriert? Was und wie berichteten die Medien darüber – und was ist in der Gesellschaft davon angekommen? DIALOG MILCH hat sich auf eine Spurensuche begeben.

 „Warum ich zur Demo nach Berlin gefahren bin“

Jens Buchmann, Wesel

„Ich war in Berlin, weil ich es leid bin, dass die Landwirtschaft immer wieder für alle Probleme und negativen Umwelteinflüsse verantwortlich gemacht wird, die aber die ganze Gesellschaft zu verantworten hat. Es kann doch nicht sein, dass man mit dem Kreuzfahrschiff und dem Flieger jederzeit um die Welt reist und dann für eine Verringerung des CO2-Ausstoßes auf die Straße geht. Ich war aber auch in Berlin, weil endlich alle Bauern an einem Strang ziehen – und es macht mich stolz, dabei zu sein.“
Jens Buchmann, Wesel

Susanne Schulze Bockeloh, Münster

„Ich war in Berlin, um gemeinsam mit allen Landwirten/innen ein Zeichen zu setzen, gegen das Agrarpaket und gegen die neue Düngeverordnung. Wir brauchen eine Politik mit mehr Fachlichkeit, mehr Dialog mit der Landwirtschaft und weniger Verboten und weniger Bürokratie.“
Susanne Schulze Bockeloh, Münster

Paul Küskens, Viersen

„Mit kilometerlangen Traktor-Konvois legten die Bauern mit den Bauernprotesten vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium am 14.10. und in der Bonner Innenstadt am 22.10. den Verkehr lahm. So viele Trecker auf einmal hatten die Bürger wohl noch nicht gesehen. In den Innenstädten protestierten tausende Landwirte gegen das Agrarpaket und forderten mehr Wertschätzung. Sie suchten den Dialog mit den Verbrauchern und verteilten Äpfel. Das kam unglaublich gut an. ‚Danke für eure harte Arbeit‘ schrieb eine Familie in Bonn auf ihr Schild und hielt es in Richtung der Trecker. Auch folgten den Demos noch weitere Aktionen, bei denen Landwirte mit den Treckern in die Kitas fuhren. Einige rheinische Bauern luden Kinder auf den Hof ein. Die Bauernproteste in Bonn waren ein tolles Signal an die Politik und Öffentlichkeit – friedlich, aber trotzdem bestimmt in ihren Botschaften und Positionen. Die Bauern haben die Sympathien der Bevölkerung gewonnen.“
Paul Küskens, Viersen

Hendrik Meier, Nienberge

„Meine Motivation hat vor der ersten Demo begonnen, als ich von LsV (Anm. der Redaktion: Land schafft Verbindung) gehört habe. Ich habe für die Landwirtschaft keine Alternative gesehen, außer aufzustehen und endlich mal unsere Nöte deutlich zu zeigen.“
Hendrik Meier, Nienberge

 Was in einigen Medien zu lesen war:

„Die neue Bewegung markiert eine Wende. Ihr Protest wirkt fast wie ein Hilfe­schrei, das Land und die Landwirtschaft nicht zu vergessen. Das Gesprächsange­bot gilt es anzunehmen. Das sollten auch Tierfreunde, Umweltverbände und Na­turschützer tun. Alle müssen raus aus ihren ideologischen Schützengräben. Ohne die Bauern hat das Land keine Zukunft.“

https://www.general-anzeiger-bonn.de/meinung/kommentare/bauern-demo-in-bonn-kommentar-zum-protest-der-landwirte-ein-hilfeschrei_aid-46671826

„Anstatt mehr Geld für umwelt- und klimafreundliches Wirtschaften auf Äckern, Feldern und in Tierställen zu fordern, beharren sie darauf, dass möglichst alles so bleibt, wie es ist. Nicht sie selbst sehen sich in der Pflicht zu handeln und sich an­zupassen, sondern vor allem Politik, Verbraucher und Handel. Nach echter Dialog­bereitschaft sieht das nicht aus.“

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bauern-demo-berlin-kommentar-1.4698331

„Die Bauern wehren sich gegen verschärfte Auflagen zur Düngung und zum Insek­tenschutz, Gesetzesvorhaben aus dem Umweltministerium. Sie werfen der Politik vor, mit falschen Zahlen zu hantieren und die Landwirtschaft zum Sündenbock für Umwelt- und Klimaschäden zu machen. Schulze sieht das anders, sie warb für „klare Regeln“ zum Schutz des Wassers und der Insekten. „Ich möchte, dass die Landwirte Teil der Lösung sind“, sagte die Ministerin.“

https://www.tagesspiegel.de/politik/bauern-demo-und-steigende-temperaturen-so-hart-krachen-klima­schutz-und-landwirtschaft-aufeinander/25272942.html

„Anders als bei früheren Protesten geht es diesmal nicht nur gegen einzelne Vor­schriften oder existenzbedrohend niedrige Preise für Milch oder Fleisch. Es ist eine Frage der Ehre. Viele – und gerade die jüngeren – Bauern sind es leid, in den von Städtern geprägten Klima- und Umweltdebatten als Deppen hingestellt zu werden, die aus Dummheit oder Raffgier Wasser, Böden und Luft verpesten.“

https://www.tagesspiegel.de/politik/proteste-gegen-landwirtschaftspolitik-sind-die-bauern-die-neuen-gelbwesten/25234536.html

„Bundesagrarministerin Julia Klöckner hat Verständnis dafür, dass die Bauern auf die Straße gehen. Es komme viel zusammen, sagte Klöckner dem Tagesspiegel. ‚Es ist ein Gemisch aus zu wenig gesellschaftlicher und medialer Wertschätzung, pauschalem Bauernbashing, zu wenig Zahlungsbereitschaft von Verbrauchern und politischen Entscheidungen, die notwendig sind. Als Politik muten wir Landwir­ten Veränderungen zu.(…)‘“
„In Berlin hieß es zwar: alle für einen. Aber zurück auf den Höfen gilt wieder: jeder gegen jeden. Die Landwirtschaft müsste aus sich heraus eine Idee entwickeln, wie es weitergehen soll. Die Aufmerksamkeit ist derzeit groß. Zeit also für ein Ange­bot, keine Anklage. Dann kann aus der Bewegung ein Erfolg werden.“

https://www.shz.de/deutschland-welt/politik/Bauerndemo-in-Berlin-Heute-einer-fuer-alle-morgen-wieder-jeder-gegen-jeden-id26492087.html

Zufallsbefragung von Passanten in Aachen

Was bei Verbrauchern ankommt:

Die Zufallsbefragung von Passanten in Aachen zeigt ein vielfältiges Meinungsbild zu den Motiven für die Demonstrationen:

„Die Bauern erhoffen sich mehr Unterstützung von der Politik.“
Mirko D. aus Aachen

„Sie protestieren wegen neuer Gesetze. Die Land­wirte fühlen sich durch Auflagen im Bereich Pflanzen­schutz bedroht. Ich finde das aber gut und nötig so.“
Kim W. aus Aachen

„Die Bauern protestieren, weil die Gesetzgebung ihre Arbeit so einschränkt, dass daraus Probleme für die Betriebe erwachsen. Käme andererseits weniger Gülle aus den Niederlanden, dann wäre das für die Umwelt besser.“
Peter K. aus Aachen

„Alles wird teurer. Aber die Produkte der Landwirte, die an sieben Tagen pro Woche viele Stunden arbeiten, werden viel zu billig verkauft.“
Charlotte F. aus Aachen

„Die Bauern demonstrieren, weil sie zu wenig Geld für ihre Produkte bekommen.“
Ulrich H. aus Erkelenz

„Mit der aktuellen politischen Entwicklung sind die Landwirte nicht glücklich. Sie bekommen von vielen Leuten den schwarzen Peter zugeschoben, obwohl auch bei den Landwirten Verständnis dafür da ist, dass eine nachhaltige Landwirtschaft nötig ist. Sie demonstrieren, weil es zwar strenge Vorgaben gibt, aber zu wenig Di­alog, wie dieses Ziel erreicht werden kann.“
Lars N. aus Würselen

„Die Bauern haben demonstriert? Das habe ich gar nicht mitbekommen.“
Frank M. aus Aachen

„Die Agrarpolitik und die Preise für Agrarprodukte sind zum Teil eine Unver­schämtheit. Die Preise sind nicht kostendeckend. Andererseits sind Gesetze wie die Düngeverordnung notwendig, und die Güllezulieferung aus den Niederlanden ist nicht ok!“
Jürgen K. aus Aachen

„Die Landwirte protestieren gegen die Gülleverordnung und gegen strenge Ge­setze.“
Gisela C. aus Aachen

„Sie verdienen nicht genug. Sie demonstrieren gegen die Agrarpolitik und für Sub­ventionen.“
Paula K. aus Aachen

„Viele Betriebe sind unterfinanziert. Neue Umweltauflagen gehen zulasten der Produktivität. Die Bauern haben verstärkt Existenzängste.“
Christian W. aus Aachen

Fazit:

Viele Landwirte fragen sich, wie es mit ihrem Betrieb weitergehen soll. Gerade auch der Betriebsnachwuchs steht diesbezüglich oft vor schwierigen Entscheidungen. Weitermachen, anpassen, schrumpfen oder wachsen, spezialisieren oder breiter aufstellen? Und auch wenn bei einem Blick in die Medien bisweilen der Eindruck einer (zu) einseitigen Berichterstattung entstehen kann, ist doch erstaunlich, dass zu niedrige Preise bzw. Erlöse für landwirtschaftliche Produkte für eine ganze Reihe der in Aachen befragten Verbraucher ein Thema sind.

Auch in der Politik sind die Stimmen aus der Landwirtschaft gehört worden. In einem ersten Schritt waren Anfang Dezember 2019 rund 40 Verbände zum Agrargipfel im Bundeskanzleramt eingeladen, bei dem die Bundeskanzlerin zahlreiche Dialogforen ankündigte. Dass es bei manchen Betrieb inzwischen „um die Wurst geht“, scheint zunehmend bei der Politik und den Verbrauchern anzukommen. Dass es für das Miteinander von Landwirten und Verbrauchern und für die weitere Entwicklung der Branche tatsächlich dringend notwendig ist, mehr miteinander als übereinander zu reden, wird aber ebenso deutlich.

Allerdings stößt die ganz aktuell vorgeschlagene „Bauern-Milliarde“ bei den Landwirten auf deutlich mehr Ablehnung als Zustimmung. „Wir lassen uns nicht kaufen“ heißt es etwa bei ‚Land schafft Verbindung‘ (LsV). „Kein Landwirt wird sich über das Geld freuen. Wir wollen eine fachlich korrekte, sachbezogene und umsetzbare Politik“, so Sebastian Dickow, Landwirt und Sprecher von LsV zu den Beschlüssen aus Berlin.

Bildnachweise:
Landpixel, Buchmann, Schulze Bockeloh, Küskens, Meier, Frangenberg