13. April 2022

Die Versorgungssicherheit gewährleisten aber wie?

Der russische Überfall auf die Ukraine hat Folgen, die weit über dieses Land und die menschliche Katastrophe für die unmittelbar Betroffenen hinausreichen. Sie wirken auf die weltweiten Märkte für Nahrungsmittel, die Energieversorgung Europas sowie Industriezweige wie die deutsche Automobilindustrie. Die Diskussion, wie die Landwirtschaft und die Landwirtschaftspolitik in der EU und in Deutschland damit umgehen sollen, ist in vollem Gange.

Russland und die Ukraine gehören zu den größten Exportländern weltweit für Brot und Futtergetreide, Mais, Raps und Sonnenblumenöl. Deutschland ist bei Brotweizen Selbstversorger, doch bei Futtermitteln wie Mais, Raps oder Soja durchaus auf Lieferungen aus der Schwarzmeerregion angewiesen“, berichtet der Bayerische Rundfunk1 (BR). Es werde erwartet, dass sich die Versorgungssituation weltweit verschlechtere, wenn die neue Ernte vor allem von Raps und Mais etwa aus der Ukraine nicht kommen sollte. Laut BR zeigt sich ein weiteres Problem darin, dass Europa in den letzten Jahren Importe von gentechnisch verändertem Soja aus Nord und Südamerika deutlich reduzieren konnte. Dies sei möglich geworden, da die Ukraine vermehrt GVOfreies Soja angebaut und nach Westeuropa exportiert habe. Die von vielen Molkereien geforderte gentechnikfreie Fütterung der Milchkühe sei allerdings bei Ausbleiben dieser Lieferungen in Gefahr.

Der Krieg sorgt bei der Bevölkerung für Verunsicherung. Trotz einer weitgehend gesicherten Versorgungslage kommt es zu Nachfragespitzen, die durch ein zum Teil irrationales Verbraucherverhalten ausgelöst werden. Die Folge sind bereits jetzt zu erkennen: Es gibt teilweise Nachschubprobleme, die zeitweise bei einigen Artikeln zu leeren Regalen führen. Bis auf ganz wenige Produkte (z. B. Sonnenblumenöl) ist die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln aber gesichert.

Gegensätzliche Positionen

Der ursprüngliche Zeitplan der EUKommission sah vor, am 23. März dieses Jahres neue Verordnungsentwürfe vorzustellen, die als Bestandteil des europäischen Green Deals eine Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes und eine Ausweitung von Schutzgebieten sowie 10 % Brachflächen vorsahen. Aufgrund der globalen Auswirkungen des UkraineKriegs auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln wurden diese neuen Vorhaben nun für unbestimmte Zeit ausgesetzt. Diese Entscheidung sorgt für kontroverse Diskussionen.

So werden einerseits Stimmen laut, die in der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2023 festgelegte Verpflichtung zur Stilllegung von Flächen auszusetzen. Statt Produktionseinschränkungen auf den hiesigen ertragreichen Flächen sei ein Konzept erforderlich, wie die Produktion ökologisch intensiviert werden könne. Die Ausweitung des Ökolandbaus sowie pauschale Vorgaben zur Reduzierung chemischer Pflanzenschutz- und Düngemittel seien nicht zielführend. Die aktuelle Situation erfordere, die Produktionskapazität in Europa kurzfristig zu steigern und nachhaltig zu sichern.

Andererseits fordern Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung in einer Presseverlautbarung ein „Handeln auf der Nachfrageseite: weniger Tierprodukte, weniger Verschwendung und eine grünere EU-Agrarpolitik“. Die Begründung lautet: „Die weltweite Ernährungsunsicherheit wird nicht durch eine Einschränkung des Nahrungsmittelangebots verursacht. Sie wird durch ungleiche Verteilung verursacht. Es gibt mehr als genug Nahrungsmittel, um die Welt zu ernähren, auch jetzt bei diesem Krieg. Allerdings wird das Getreide an Tiere verfüttert, als Biokraftstoff verwendet oder einfach verschwendet, anstatt hungrige Menschen zu ernähren.“

Diese Ansicht bleibt nicht unwidersprochen: Während das Potsdam-Institut bei der Versorgung die Verteilungsfrage stellt und überzeugt ist, dass durch eine Verringerung der Tierhaltung die weltweite Versorgung der Menschen besser sichergestellt werden kann, gibt es auch Argumente dafür, dass in der Nutztierhaltung in erster Linie „Koppelprodukte der Lebensmittelherstellung“ (Soja-, Rapsschrot, etc.) verfüttert werden. Zudem wird das Futter zumindest in Europa von Flächen gewonnen, die entweder nur als Grünland nutzbar sind oder auf denen keine Feldfrüchte in Lebensmittelqualität angebaut werden können. Bei diesen zwei Sichtweisen gibt es sicherlich eine Antwort, die angesichts des komplexen Themas der Ernährungssicherung „irgendwo dazwischen“ liegt.

Vielfältige Herausforderungen

Unsere Gesellschaft steht – selbst wenn die Ausweitung des Kriegs auf die NATO-Staaten ausbleibt – vor tiefgreifenden Veränderungen. Der Klimawandel erfordert ein energiepolitisches Umsteuern – und das gilt für die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern im Allgemeinen sowie für Öl- und Gasimporte aus Russland im Besonderen. Ein Umdenken schließt u. a. eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien ein,und spätestens hier wird etwa bei Biogas ein Zielkonflikt mit den Forderungen der Potsdamer Wissenschaftler erkennbar. Zu hoffen bleibt, dass die notwendigen Diskussionen ausgewogen und auf Basis von Fakten geführt werden.

Gleiches gilt für die „NIMBY-Haltung“ (Not In My Back Yard – nicht in meinem direkten Umfeld) vieler Verbraucher, die sich beispielsweise mit Blick auf Windkraftanlagen oder Stromtrassen aus dem windstarken Norden in den energiehungrigen Süden Deutschlands zeigt. Wenn erneuerbare Energien genutzt werden sollen, müssen auch deren Erzeugung und Weiterleitung im eigenen Umfeld akzeptiert werden.

Und über noch einen weiteren Aspekt sollte jeder beim Einkauf nachdenken – den „wertschätzenden“, verantwortlichen und bewussten Umgang mit Lebensmitteln. Dazu gehört, diese nicht zu verschwenden, und dazu gehört auch ein bewusster Konsum der wertvollen landwirtschaftlichen Produkte.