17. März 2020

Expertenrunde zu Tierwohl und Tierschutz: Landwirt, Tierarzt und Vertreterin des Deutschen Tierschutzbundes an einem Tisch

Die Milchwirtschaft befindet sich aktuell im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit, Tierschutz und Nachhaltigkeit. Gefordert wird eine moderne Nutztierhaltung, die gesellschaftlich akzeptiert ist und das Tierwohl im Fokus hat. Gleichzeitig muss sie wirtschaftlich tragfähig sein, damit die Landwirte davon leben können. Wie kann das funktionieren? DIALOG MILCH hat dazu eine Expertenrunde an einen Tisch zusammengerufen. Eine lebhafte, durchaus kritische, aber konstruktive Auseinandersetzung zu einem derzeit viel diskutierten Thema.

Die Teilnehmer:

Frigga Wirths, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund

Frigga Wirths ist beim Deutschen Tierschutzbund als Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft tätig. Die studierte Agrarwissenschaftlerin und Veterinärin ist für alle Themen, die mit Rindern zu tun haben, zuständig. Auch an der Entwicklung des Tierschutzlabels der größten Tierschutzorganisation Deutschlands ist sie beteiligt.

Ihre Forderung: Wenn die Verbraucher mehr Tierwohl wollen, müssen sie auch bereit sein, für die Produkte einen höheren Preis zu bezahlen.

Markus Hübers, Landwirt

Markus Hübers ist staatlich geprüfter Landwirt und bewirtschaftet einen Milchviehbetrieb mit 300 Kühen im Kreis Kleve am Niederrhein. Für den Milchviehhalter aus Leidenschaft haben die Landwirte beim Tierwohl eine große Verantwortung. Er versucht immer wieder, die Befindlichkeiten seiner Tiere noch besser zu verstehen. Hübers, der einige Jahre Mitglied des Aufsichtsrates einer großen Molkereigenossenschaft war, wünscht sich bei allen Beteiligten eine größere Dialogbereitschaft sowie mehr fachlich fundierte Entscheidungen.

André Hüting, Tierarzt mit Schwerpunkt Rinder- und Kälbermast

André Hüting ist Tierarzt mit Schwerpunkt Rinder- und Kälbermast und Teilhaber einer großen Tierarztpraxis am Niederrhein. Für Hüting, der von einem Milchviehbetrieb stammt, ist es wesentlich, die Gesundheit der Kühe zu managen und nicht nur das kranke Tier zu behandeln. Die Unterstützung beim Management und bei der zukunftsorientierten Entwicklung der Betriebe sieht er ebenfalls als seine Aufgabe.

Frau Wirths, geht es den Milchkühen aus Sicht des Deutschen Tierschutzbunds heute besser als noch vor 20 Jahren?

Frigga Wirths: Das darf man auf keinen Fall verallgemeinern. Vor 20 Jahren gab es Betriebe, in denen es den Tieren nicht gut ging, genauso wie es solche Fälle auch heute noch gibt. Gut ist, dass die Anbindehaltung seither deutlich zurückgegangen ist. Das ist eine Haltungsform, die wir als Tierschützer komplett ablehnen, da die Tiere, die dauerhaft angebunden sind, sich nicht artgerecht bewegen können.

Das heißt aber auch, dass Sie mit dem, was in einem Teil der deutschen Milcherzeugerbetriebe, vor allem in den südlichen Bundesländern passiert, nicht einverstanden sind?

Wirths: Ich sage ganz klar: Aus Tierschutzsicht ist die Anbindehaltung nicht zu rechtfertigen. Daher plädiere ich persönlich für ein Ausstiegsszenario, das ein Ende dieser Haltungsform einläutet. Und zwar ein Ausstiegsszenario auch aus der saisonalen Anbindehaltung mit einem Übergangszeitraum, in dem die betreffenden Milcherzeuger reagieren und die Haltungsform umstellen können. Dieser Zeitraum könnte aus meiner Sicht einige Jahre dauern, die betreffenden Landwirte müssten dabei finanziell unterstützt werden.

Herr Hübers, was hat sich denn aus Sicht eines Milchviehhalters in Bezug auf Tierwohl in den vergangenen 20 Jahren zum Positiven verändert?

Hübers: Es gibt heute deutlich mehr große, offene Boxenlaufställe, in denen die Tiere artgerechter gehalten werden als in der Anbindehaltung. Alte, muffige Ställe sind seltener geworden. Das ist positiv. Neben den Veränderungen bei den Haltungsformen hat sich auch die Ausbildung der Landwirte verbessert, auch was die Tierethik, also die Beziehung zwischen Mensch und Tier, betrifft. Ebenso ist die Versorgungslage für die Tiere deutlich besser geworden, da wir hochwertigeres Futter zur Verfügung haben. Das trägt in großem Maße zu mehr Tiergesundheit bei. Aus meiner Sicht geht es Milchkühen heute im Schnitt auf jeden Fall besser als vor 20 Jahren.

Herr Hüting, wie bewertet der Tierarzt das Thema, der tagtäglich in Kontakt mit Tieren kommt und sie aus tiergesundheitlicher Sicht gut beurteilen kann?

Hüting: Für meinen Bereich, den ich betreue, kann ich sagen, dass deutlich weniger Krankheiten bei Milchkühen auftreten. Die Mehrzahl der Tiere ist auf jeden Fall gesünder und lebt länger als noch vor 20 Jahren. Wir können uns mehr mit dem Gesundheitsmanagement der Kühe beschäftigen, statt ihre Krankheiten kurieren zu müssen. Natürlich lässt sich immer noch etwas verbessern, aber was die Tiergesundheit betrifft, sehe ich im Jahr 2020 ein wesentlich höheres Niveau.

Herr Hübers, hat das Thema Tiergesundheit etwas mit der Größe des Betriebes zu tun?

Hübers: Die Größe eines Betriebes ist nicht relevant, wenn es um das Thema Tierwohl geht, sondern der Umgang der Menschen mit den Tieren. Wir müssen die einzelnen Betriebe einfach differenziert betrachten. Ob ich jetzt 300 Kühe habe oder 1.200 ist zunächst einmal egal. Es gibt große, luftige Ställe, in denen es den Tieren auch ohne Weidehaltung ausgesprochen gut geht, wenn die Menschen vernünftig mit den Tieren umgehen. Ich wehre mich gegen das Bild, das meist in der Öffentlichkeit gezeichnet wird, wonach größere Betriebe immer schlechter dargestellt werden.

Wirths: Da stimme ich ihnen zu: Die Anzahl der Tiere hat nicht zwingend immer etwas damit zu tun, ob ein Betrieb tiergerecht ist. Aber es kommt darauf an, wer auf diesen großen Betrieben arbeitet. Aus meiner Sicht steht und fällt das immer mit dem Personal. Gute Leute zu finden und die auch noch gut zu bezahlen, ist schwierig. Bei dem Skandalbetrieb, den wir im vergangenen Jahr in den Medien gesehen haben, handelte es sich um einen größeren Betrieb. Die niedrigen Milchpreise sind keine Entschuldigung dafür, aber sie sind sicherlich auch ein Auslöser, dass überall gespart wird, eben auch am Personal und an der Tierbetreuung.

Hüting: Für mich als Tierarzt spielt die Größe eines Hofs keine Rolle, egal ob der Betriebsleiter im Familienbetrieb 70 Kühe zu versorgen hat oder in einem größeren Betrieb 300 Kühe. Der professionelle Betriebsleiter gibt die Richtung vor und macht seine Arbeit mit gleicher Leidenschaft, ganz gleich wie viele Kühe er hat. Landwirte, die nach vorne schauen, prophylaktisch arbeiten und einen Blick für ihre Tiere haben, können auch einen großen Tierbestand problemlos managen. Ich stimme Markus Hübers zu, dass die großen Betriebe oft zu Unrecht falsch dargestellt werden. Für mich spielt auch der Faktor Mensch die wichtigste Rolle.

Frau Wirths, sie kommen auf die Tierschutzskandale zu sprechen, die immer wieder in den Medien dargestellt werden. Wo sehen sie Ansatzpunkte, diese Fälle zu minimieren?

Wirths: Ich kann es nicht verstehen, wie Betriebe es jahrelang schaffen können, ihre Tiere schlecht zu behandeln, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekommt. Das schadet der ganzen Branche und ich würde mir wünschen, dass die Landwirte die schwarzen Schafe selbst finden und dafür sorgen, dass Missstände abgestellt werden. Stattdessen sind es immer wieder Tierrechtler, die die Skandale aufdecken und dazu in die Ställe einbrechen.

Hübers: Also Einbrüche in Ställe verurteile ich aufs Schärfste, das ist Hausfriedensbruch. Wir leben doch in einem Rechtsstaat. Aber ja, ich denke uns würden häufigere Besuche und offenere Augen dabei helfen, solche Probleme rechtzeitig in den Griff zu bekommen. Wir müssen in der Lage sein, uns in der Branche dabei auch gegenseitig zu unterstützen. Ein Audit alle drei Jahre reicht sicherlich nicht aus, um den Anforderungen, die die Öffentlichkeit an das Thema Tierschutz stellt, gerecht zu werden. In unserer Molkereigenossenschaft haben die Landwirte entschieden, dass wir noch besser werden müssen. Wir brauchen ein System, welches sicherstellt, dass ein Betrieb zu jeder Zeit in Ordnung ist. Ich erwarte doch auch als Verbraucher, der in ein Restaurant geht, dass die Küche immer sauber ist und nicht nur dann, wenn ein Kontrolleur sich angemeldet hat. Wir Landwirte müssen immer zeigen und beweisen können, dass in unserem Betrieb in punkto Tierschutz nichts zu beanstanden ist.

Hüting: Das spielt auch in meiner Praxis eine große Rolle. Wir verlassen einen Hof nie, wenn wir sehen, dass in Sachen Tierschutz nicht alles in Ordnung ist. Wir sprechen mit den Landwirten offen darüber und schauen keinesfalls einfach weg. Das wäre die falsche Strategie. Dazu braucht es viel Kommunikation, damit wir den jeweiligen Landwirt mitnehmen können. Tierschutz ist für uns ein wichtiges Thema, für das wir uns bei unserer Arbeit die entsprechende Zeit nehmen.

Herr Hübers, welche Möglichkeiten sehen Sie, solch brisante Tierschutzverstöße innerhalb ihres Berufsstandes offensiv anzusprechen?

Hübers: Aus rein menschlicher Sicht ist es für uns alle sehr schwierig zum Nachbarn zu gehen und ihm zu erklären, dass er etwas nicht gut macht. Da ist die gute Nachbarschaft schnell vorbei. Aber einfach wegschauen ist auch keine Lösung. Wir müssten es schaffen, Veranstaltungen oder Vorträge mit Fachleuten zu initiieren, damit wir Landwirte ein besseres Gefühl dafür bekommen, wie die Verbraucher das Thema Tierwohl sehen und was sie von uns erwarten. Da müssen wir hin, vielleicht kann uns der Deutsche Tierschutzbund da ja als Partner unterstützen.

Wirths: Ich würde mir wünschen, dass Milcherzeuger sich nicht schämen, wenn sie mal etwas nicht so gut hinbekommen, sondern ihre Kollegen um Rat fragen würden. Die Landwirte könnten sich reihum gegenseitig auf ihren Höfen besuchen und sich austauschen, um eine gewisse Betriebsblindheit, die sich einstellen kann, zu vermeiden. Den jungen Landwirten wird meiner Meinung nach in ihrer Ausbildung viel zu wenig zum Thema Tierschutz und Tierethik vermittelt. Sie müssen unbedingt lernen, was es zu Tierschutzfragen an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt, was der Verbraucher im Hinblick auf Tierwohl erwartet und wo sie aktuell mit ihren Betrieben stehen. Das wäre eine gute Lösung.

Hüting: Wichtig bleibt, dass wir Missstände offen ansprechen, Lösungen dafür suchen, die Umsetzung zeitlich eingrenzen und dann zeitnah wieder kontrollieren. Bei groben Verstößen müssen alle Beteiligten sofort aktiv werden und den Missstand beseitigen. Was wir nicht machen dürfen ist, solche Einzelfälle auf die gesamte Milchwirtschaft zu übertragen.

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