23. März 2020

Labels und Gütesiegel auf Lebensmittelverpackungen: Reizüberflutung oder Vertrauensbasis?

Egal ob Tierwohl, Bio-Erzeugnis, fairer Handel oder Klimaneutralität: Mit einer Vielzahl von Labeln und Siegeln versuchen die Hersteller von Lebensmitteln und der Lebensmitteleinzelhandel, den Konsumenten Informationen zu ihren Produkten zu vermitteln, die ansonsten nicht oder nicht direkt erkennbar wären. Diese Kennzeichnung am „Point of Sale“ scheint oft gesellschaftspolitisch motiviert und soll dazu dienen, den Käufern eine bewusste und selbstbestimmte Kaufentscheidung zu ermöglichen. Aufgrund der vorhandenen „Siegelflut“ hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Plattform Siegelklarheit etabliert. Sie soll u. a. bewusstes und nachhaltiges Einkaufen fördern.


Gerade mit Blick auf das Thema Tierschutz sind beispielsweise das 2013 eingeführte Label „Für mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbunds und die von führenden deutschen Lebensmitteleinzelhändlern (LEH) seit April 2019 eingeführte einheitliche Kennzeichnung für Frischfleisch von Interesse. Die Kennzeichnung des LEH umfasst die vier Stufen „Stallhaltung, Stallhaltung Plus, Außenklima und Premium“ und ist bewusst nicht als zusätzliches Label konzipiert, sondern soll bestehende Label in vier Haltungsformen einordnen und damit den Verbraucherinnen und Verbrauchern als zusätzliche Information eine bewusstere Kaufentscheidung ermöglichen.


Seit Ende 2016 gilt in der gesamten EU für vorverpackte Lebensmittel eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung („Big 7“: Brennwert, Fett, gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiß und Salz) schnell und einfach für die Verbraucher erkennbar werden.Ende 2019 hat das BMEL entschieden, eine zusätzliche, jedoch nicht verpflichtende Nährwertkennzeichnung, den sogenannten Nutri-Score, einzuführen. Dieser wird in Frankreich bereits seit 2015 flächendeckend verwendet und soll dem Verbraucher eine Orientierung geben, ob ein Lebensmittel empfehlenswert ist.


Werden das Label „Für mehr Tierschutz“, die Kennzeichnung des LEH und der Nutri-Score dann am Ende nur „weitere bunte Fleckchen“ auf den Lebensmittelverpackungen sein? Wie wird die Flut der ganzen Labels und Logos überhaupt wahrgenommen? Würde für eine bessere Übersicht der Verbraucher nicht gelten: „weniger wäre mehr“? DIALOG MILCH hat auf Verbraucher- und Erzeugerseite nachgefragt und mit Carolin Krieger von dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und mit Ludwig Börger vom Deutschen Bauernverband gesprochen.

Carolin Krieger, Referentin Ernährungspolitik, Team Lebensmittel, Geschäftsbereich Verbraucherpolitik bei der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

DIALOG MILCH: Frau Krieger, wie beurteilen Sie die Flut unterschiedlicher Siegel und Labels auf Lebensmittelverpackungen generell? Bringt das mehr Klarheit oder eher Verwirrung aufseiten der Verbraucher?

Carolin Krieger: Im Einkaufsalltag haben Verbraucherinnen und Verbraucher die Wahl zwischen Produkten mit zahlreichen, oft kaum zu durchschauenden Werbeversprechen. Sie sehen unterschiedliche Label und Siegel und schöne Bilder auf Verpackungen. Aber woher sollen sie in der konkreten Einkaufssituation und bei dieser Angebotsvielfalt wissen, was nachhaltiger oder tiergerechter ist oder welche Label vertrauensvoll und wahr sind? Das Ergebnis: Verbrauchern werden rationale Entscheidungsfindungen erschwert statt vereinfacht.

Der Siegeldschungel trägt derzeit mehr zur Orientierungslosigkeit bei, statt Verbraucherinnen und Verbrauchern Klarheit beim Einkauf zu geben. Deshalb fordert der vzbv, wenige, dafür glaubwürdige und aussagekräftige Siegel, damit Prozessqualitäten wie Nachhaltigkeit oder Tierschutz im Markt verlässlich erkennbar sind.

DIALOG MILCH: Ließe sich die mit den Siegeln und Labels beabsichtigte Information der Verbraucher gegebenenfalls klarer und einfacher gestalten?

Carolin Krieger: Glaubwürdige Informationen über Produkteigenschaften sind essenziell, damit Verbraucher eine informierte Kaufentscheidung treffen können, die ihre individuellen Präferenzen abbildet. Im Moment wird das durch eine Vielzahl an Siegeln und Labeln erschwert. Transparenz und Glaubwürdigkeit sind dabei wichtige Kriterien. Verbraucher befinden sich oft in der Situation, herausfinden zu müssen, welche Kriterien für die Vergabe eines Labels oder Siegels erfüllt sein müssen oder wie und durch wen die Einhaltung dieser Kriterien überprüft wird. Staatlich definierte Mindestanforderungen für Label und begleitende Maßnahmen, um die Verbraucher darüber aufzuklären, sind zudem vonnöten.

Label und Siegel sind hilfreich, wenn sie nicht im Überfluss auf den Lebensmittelverpackungen zu finden sind und wenn sie für Verbraucher nachvollziehbar und verständlich sind.

DIALOG MILCH: Was halten Sie von der neu eingeführten, freiwilligen Lebensmittelkennzeichnung Nutri-Score?

Carolin Krieger: Die Einführung einer erweiterten und farblichen Nährwertkennzeichnung auf der Produktvorderseite in Deutschland ist eine längst überfällige Maßnahme. Verbraucherinnen und Verbraucher bekommen mit ihr die notwendige Orientierung beim Lebensmitteleinkauf und haben die Möglichkeit die ernährungsphysiologische Qualität verschiedener Lebensmittel innerhalb einer Kategorie miteinander zu vergleichen.

Daher begrüßen wir die Entscheidung der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner, den Nutri-Score in Deutschland empfehlen zu wollen. Der Nutri-Score muss nun zügig in Deutschland eingeführt und flächendeckend verwendet werden. Da die Einführung in Deutschland nach europäischem Recht nur freiwillig sein kann, muss in einem weiteren Schritt der Nutri-Score auf europäischer Ebene verpflichtend vorgeschrieben werden.

Der vzbv fordert die Bundesministerin daher auf, sich im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und darüber hinaus für die verpflichtende Einführung des Nutri-Scores auf europäischer Ebene einzusetzen.

DIALOG MILCH: Frau Krieger, vielen Dank für das Gespräch!

Ludwig Börger, Referatsleiter Milch beim Deutschen Bauernverband e. V.

DIALOG MILCH: Herr Börger, wie beurteilen Sie die Flut unterschiedlicher Siegel und Labels auf Lebensmittelverpackungen generell? Bringt das mehr Klarheit oder eher Verwirrung aufseiten der Verbraucher?

Ludwig Börger: Es kommt darauf an: Etliche wissenschaftliche Erhebungen zeigen, dass eine große Zahl der Label dem durchschnittlichen Verbraucher gar nicht bekannt ist oder bei seinen Kaufentscheidungen keinerlei Rolle spielt. Häufig ist dies der Fall bei unternehmensindividuellen Lösungen von einzelnen Verarbeitungs- oder Handelsunternehmen. Einige – vor allem sektorübergreifende – Label haben es jedoch geschafft, einen größeren Bekanntheitsgrad unter den Verbrauchern zu erlangen, sodass der Kunde mit dem entsprechenden Produkt auch einen Mehrwert verbindet.

DIALOG MILCH: Ließe sich die mit den Siegeln und Labels beabsichtigte Information der Verbraucher gegebenenfalls klarer und einfacher gestalten?

Ludwig Börger: Diejenigen Siegel, die nicht nur von einzelnen Unternehmen genutzt werden, haben bzgl. ihres Bekanntheitsgrads den größten Erfolg unter den Verbrauchern. Interessant und wahrscheinlich zielführend ist in diesem Zusammenhang die Initiative des deutschen Lebensmitteleinzelhandels, die bestehenden Tierhaltungslabel auf Fleischprodukten mit einer einheitlichen Haltungsformkennzeichnung zu versehen. Dieses Ansinnen wird über kurz oder lang (eher kurz!) auch auf den deutschen Milchsektor zukommen.

DIALOG MILCH: Was halten Sie von der neu eingeführten, freiwilligen Lebensmittelkennzeichnung Nutri-Score?

Ludwig Börger: Eine plakative und verpflichtende Kennzeichnung der Nährwerte auf Lebensmitteln mit einer Ampel sehen wir kritisch, denn Ernährung ist grundsätzlich zu komplex, um in ein paar Farben gepackt werden zu können. Und es kommt natürlich auf die Ausgestaltung an: Wenn Milch wegen ihres ernährungsphysiologisch wichtigen Milchfettes mit Rot gekennzeichnet wird, während eine Cola Grün erhalten kann, ist keinem Verbraucher ernsthaft geholfen.

Ein Blick nach Chile hilft. 50 % der Kinder sind dort übergewichtig – weltweit vielleicht die unrühmliche Spitzenposition. Der chilenische Staat hat darauf 2016 mit den weltweit strengsten Kennzeichnungsregeln mit Warnhinweisen bei hohen Zucker-, Salz-, Kalorien- und Fettgehalten reagiert. Neutrale Auswertungen sowohl der chilenischen Regierung als auch der Ernährungsindustrie bestätigen jedoch, dass für 70 % der chilenischen Konsumenten die Warnhinweise bei der Kaufentscheidung völlig irrelevant sind. Grund dafür könnte sein, dass Pommes mit den gleichen Warnhinweisen versehen werden wie Joghurt und, dass Äpfel mehr Warnhinweise aufweisen als eine Cola.

DIALOG MILCH: Herr Börger, vielen Dank für das Gespräch!

Übersicht zu bestehenden Labels im Bereich Lebensmittel
(https://www.siegelklarheit.de/home#lebensmittel):

Biokreis-Siegel
Biokurs – regional & fair
Bioland
Biopark
Bio-Siegel
Biozyklisch-Veganer Anbau
Climate Partner
Demeter
EcoVeg
ECOVIN
EU-Bio-Siegel
FAIR ‚N GREEN
Fair For Life Programme
Fairtrade
4C Common Code for the Coffee Community
Gepa fair+
GGN – zertifizierte Aquakultur
Gäa – Ökologischer Landbau
HAND IN HAND – Rapunzel
International Sustainability and Carbon Certification
Marine Stewardship Council
natureOffice
Naturland – Lebensmittel
Naturland Fair – Lebensmittel
Naturland Wildfisch
Pro Planet
ProVeg
Rainforest Alliance
Roundtable on Sustainable Palm Oil
SGS Institut Fresenius
UTZ

Zusätzlich:
Für mehr Tierschutz
Nutri-Score