13. November 2019

Insektenschutz auf neuen Wegen

Es ist gerade erst zwei Jahre her, dass eine Studie zum Insektenaufkommen für großen Wirbel gesorgt und die Diskussion um die Artenvielfalt in Deutschland befeuert hat. Seitdem wird an vielen Rädern gedreht, um der Entwicklung entgegenzuwirken. Auch der Vorwurf, die Landwirtschaft sei Mitverursacher des Insektensterbens, steht im Raum. Schaut man einmal genau hin, stellt man fest, dass sich viele Betriebe bereits jetzt aktiv am Insektenschutz beteiligen.

Lange Zeit gab es nur wenige exakte und belastbare Daten zum Thema Insektenpopulationen. Das änderte sich mit der Veröffentlichung einer Studie des Entomologischen Vereins Krefeld. Diese Studie stellte als erste Langzeitstudie für die vergangenen 27 Jahre einen Rückgang der Fluginsekten-Biomasse fest, und zwar um 75 Prozent. Betroffen sind z.B. Schmetterlinge, Bienen und Wespen bis hin zu Motten und anderen flugfähigen Arten.[1] Die Insektenkundler hatten in verschiedenen deutschen Naturschutzgebieten an über 60 Standorten Fallen platziert und konnten diesen Trend über alle Standorte hinweg nachweisen. Für die Veröffentlichung wurden nur zwei Messstellen im Orbroicher Bruch (Naturschutzgebiet Orbroich, Stadt Krefeld) herangezogen, um die Jahre 1989 und 2013 zu vergleichen.

Entgegen einiger Berichterstattungen ist kein absoluter Rückgang der Insekten um 75% zu beklagen. Die Aussage bezieht sich auf die Biomasse der Fluginsekten, d.h. Käfer und andere Insekten sind nicht berücksichtigt. Auch sagt die Biomasse zunächst nichts über Arten und Anzahl der Individuen aus. Andere große Studien, etwa in Großbritannien, legen allerdings den Schluss nahe, dass insgesamt ein Insektenrückgang zu beklagen ist.

Man unterscheidet bei der Bestandsaufnahme von Insekten zwischen Individuen und Biomasse.

Individuen = die absolute Anzahl der Insekten einer Art, meist bezogen auf einen definierten geografischen Raum, z.B. in einem Naturschutzgebiet.

Biomasse: Insekten werden gefangen und gewogen, ohne dass nach Arten und Anzahl unterschieden wird.

Die Krefelder Insektenkundler forschten nicht nach Ursachen des Insektensterbens. Mit Blick auf die Landwirtschaft äußerten sie sich vorsichtig, „ein Einfluss sei nicht auszuschließen“. Insektenkundler kennen viele Faktoren, die negativ auf die Insektenpopulationen wirken. Dazu zählen etwa der Verlust von Ökosystemen, die für den Insektenbestand wichtig sind, der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder der Klimawandel. Auch die zunehmende Lichtverschmutzung wirkt sich negativ auf die Insekten aus.

Der Agrarreport 2017 des Bundesamtes für Naturschutz [2] stellt für Deutschland fest, dass der Gesamtbestand der Insekten in Deutschland in den letzten drei Jahrzehnten deutlich abgenommen habe. Dies betrifft sowohl die Artenzahlen wie auch die Insektenpopulationen. Der Rückgang der Insektenbiomasse sei dabei in Agrarlandschaften besonders ausgeprägt.

Die Politik hat reagiert: Eine ganz aktuelle Entwicklung ist das vom Bundeskabinett beschlossene Aktionsprogramm Insektenschutz, das schwerpunktmäßig auf eine geringere Anwendung von Pflanzenschutzmitteln setzt. Dies soll auch für Haus- und Kleingärten sowie für kommunale Grünflächen gelten. Gemeinsam mit dem Thünen-Institut (TI) und dem Julius Kühn-Institut (JKI) baut auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) aktuell ein Monitoringsystem auf, um Veränderungen der Insektenpopulation zu beobachten.

Blühstreifen – ein Buffet für Honigsammler

Landwirt Markus Driehsen

In der Praxis sind viele landwirtschaftliche Betriebe schon weit fortgeschritten in ihren Bemühungen um die Biodiversität und den Insektenschutz auf ihren Flächen. So hat z. B. der junge Landwirt Markus Driehsen, der in Tönisvorst gemeinsam mit seinen Eltern einen Milchviehbetrieb bewirtschaftet, ein ganzes Bündel von Umweltmaßnahmen geschnürt. So empfängt der 27-jährige Agraringenieur seine zahlreichen Hofgäste mit einem Blühstreifen entlang des Anfahrtsweges zum Betrieb. Im Herbst lassen die Sonnenblumen schon etwas ihre schwarzen Köpfe hängen, die Malven aber präsentieren noch ihre violetten Blüten. Wer näher herantritt, sieht, dass es dort nur so wimmelt von Bienen und anderen Honigsammlern.

Gerade in dieser Jahreszeit sind solche Blühflächen wichtig, damit die auf den Nektar angewiesenen Insekten ihre Wintervorräte auffüllen können. „Die Blühstreifen gehören zu den verpflichtenden Greeningmaßnahmen“, erklärt Driehsen. Sie wachsen nicht von allein, sondern müssen wie alle anderen Feldfrüchte ausgesät und gepflegt werden. Pflanzenschutz ist auf den Blühstreifen selbstverständlich tabu. Im Herbst werden die Blühflächen gemulcht, damit Unkräuter keine Chance bekommen, die blühenden Sorten zu überwuchern. Manchmal sät Driehsen auch nach. Die Mischung enthält viele Sorten, angefangen bei der frühblühenden Phacelia bis zur späten Sonnenblume. So bleibt der Tisch für die Insekten lange gedeckt. „Auf unserem Betrieb kommen wir auf rund zwei Kilometer Blühstreifen“, rechnet der junge Landwirt vor.

Herbergen für Fluggäste

Auf dem Driehsen-Hof ist auch viel Platz für Vögel aller Art. An fast jedem Baum und in vielen Ecken hängen Nistkästen in unterschiedlichsten Größen und Formen. Hier finden Turmfalke und Kauz ebenso ein zu Hause wie Singvögel aller Art und Fledermäuse. Im luftigen und offenen Kuhstall quartieren sich die Schwalben ein. Eigens für die Insekten hat Driehsen ein Hotel eröffnet. Die meisten Löcher sind schon dicht, das heißt die Insekten haben ihr Winterquartier bereits bezogen.

Umweltschutz, den keiner sieht

Einige Maßnahmen auf dem Betrieb bringen sehr viel, sind aber für den landwirtschaftlichen Laien nicht erkennbar. „Da wir auf unseren Flächen fast ausschließlich Futter (Mais und Ackergras) für unsere 270 Kühe und deren Nachzucht produzieren, ist die Fruchtfolge zu eng.“ Deshalb tauscht Driehsen regelmäßig Flächen mit einem Kollegen, der Kartoffeln und Kohl anbaut. Für diese Kulturen sind vier- bis fünfjährige Anbaupausen dringend notwendig, um Krankheiten auf natürlichem Wege zu verhindern und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu minimieren. „15 Hektar befinden sich deshalb stets im Bewirtschaftungswechsel,“ erläutert Driehsen.

Blühstreifen

Ein Problem stellt für Driehsen das Verbot von gebeiztem Saatgut dar. „Die Beizung ist so ziemlich die umweltfreundlichste Art, die Ackerkulturen von Schädlingen freizuhalten. Auch das war für mich aktiver Umweltschutz, weil ich dadurch andere Pflanzenschutzmaßnahmen einsparen konnte. Mit digitalen Techniken und GPS erreicht Driehsen dennoch, möglichst gezielt und umweltfreundlich zu düngen und Pflanzenschutzmittel auszubringen.

Zum ersten, zum zweiten, zum…..

„Die Menschen wollen mehr Naturschutz, die Umsetzung kostet uns Landwirte aber Geld. Warum nicht diese beiden Dinge zusammenbringen?“. Das dachte sich der Agrarstudent Stephan Francken aus Grevenbroich. Seine Idee: Nachfrage nach Naturschutz und landwirtschaftliches Angebot koordinieren und Blühpatenschaften über eBay verkaufen.

Die Idee dazu kam ihm im Rahmen seines Studiums. „Das Thema Insektenschwund wurde dort behandelt“, berichtet Francken. „Es gab sogar ein Modul ´Bienen halten und Honig machen`. Schnell war mein Interesse geweckt.“ Da der Student von einem landwirtschaftlichen Betrieb stammt, diesen später weiterführen möchte und deshalb an die Zukunft denkt, hat er sich mit dem Vater geeinigt, eine gewisse Fläche für die Anlage von Blühstreifen vorzuhalten.

Gleichzeitig wollte er wissen, ob Verbraucher bereit sind, aktiv zum Naturschutz beizutragen und für Blühflächen Patenschaften zu übernehmen. Er stellte deshalb ein entsprechendes Angebot auf eBay ein. „Mein Angebot: Einen Euro für einen Quadratmeter Blühfläche, um alles andere kümmere ich mich.“ Vom Ergebnis war Francken etwas enttäuscht, nur vier Interessenten ersteigerten insgesamt 200 qm. Der Betrieb legte deshalb auf eigene Kosten nach. Am Ende blühte es auf insgesamt 1.800 Quadratmetern. „Ich wiederhole das im nächsten Jahr, werde es etwas professioneller angehen, um die Bienenpaten besser mitzunehmen.“ Gute Ideen brauchen manchmal auch etwas Zeit.

Insektenschutz kann (fast) jeder

Das bereits erwähnte Insektenschutzprogramm richtet sich aber nicht nur an die Landwirtschaft. Es beschäftigt sich beispielsweise auch mit der sogenannten Lichtverschmutzung. So wird angestrebt, den „Staubsaugereffekt“ auf Insekten durch den Einsatz von insektenfreundlichen Lichtquellen einzudämmen. Das Bundesamt für Naturschutz fördert Modellprojekte naturnaher Gestaltungsprojekte auf öffentlichen Flächen und einzelne Kommunen gehen dazu über, ihre Bürger und Gartenbesitzer gezielt über die Gestaltung insektenfreundlicher Gärten aufzuklären. Dazu gehört etwa der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel in Privatgärten. Der NABU klärt darüber auf, wie sich Vorgärten so gestalten lassen, dass sie für Insekten interessant werden. Damit will man dem wachsenden Trend der Steingärten entgegenwirken. Auf launige Weise werden auf der Facebook-Seite Gärten des Grauens Beispiele gesammelt, wie man es möglichst nicht machen sollte.

[1] https://www.landwirtschaft.de/diskussion-und-dialog/umwelt/insektensterben-in-deutschland/

[2] https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/landwirtschaft/Dokumente/BfN-Agrar-Report_2017.pdf/

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Nmin