16. Juli 2020

Methan: Wenn Kühe rülpsen …

Der Klimawandel passiert. Zu den möglichen Ursachen gibt es die unterschiedlichsten Aussagen. Milchkühe bzw. Rinder ganz allgemein sowie alle anderen Wiederkäuer – wie Rotwild, Giraffen oder Gazellen, um ein paar Beispiele zu nennen – haben damit offenbar etwas zu tun. „Schuld“ ist ihre Verdauung, bei der Methan freigesetzt wird. Aber: Wie kommt das, von wie viel Methan sprechen wir – und lässt sich nichts dagegen machen? DIALOG MILCH hat bei Dr. Martin Hünerberg nachgefragt, der sich an der Universität Göttingen intensiv mit diesem Thema befasst.

Dr. Martin Hünerberg

DIALOG MILCH: Herr Dr. Hünerberg, immer wieder hört man, dass Kühe Methan ausstoßen. Machen diese Tiere unser Klima kaputt?

Martin Hünerberg: Eine so plakative Frage verdient eine plakative Antwort: „Nein“! Tatsächlich ist es so, dass bei der Rinderhaltung genauso Methan freigesetzt wird wie bei wild lebenden Büffeln, Rehen, Elchen und anderen Wiederkäuern. Das ist zunächst einmal ein ganz natürlicher Prozess bei einem Großteil der Tiere, die sich von pflanzlichem Material ernähren – und so mit Blick auf das Klima nichts Neues.

© Dr. Martin Hünerberg

DIALOG MILCH: Wo kommt das Methan denn genau her?

Martin Hünerberg: Wie gesagt, wir wissen schon lange, dass bei der Verdauung von Wiederkäuern wie etwa Kühen, Ziegen und Schafen Methan (CH4) freigesetzt wird. Wenn Kühe z. B. Gras fressen, dann gelangt dies in den Pansen, also den größten der vier Mägen der Kuh. Dort leben – wie im Übrigen auch im Darm des Menschen – spezialisierte Mikroorganismen. Sie helfen dabei, die Nahrung in ihre Bestandteile abzubauen und so zu verdauen. Die sogenannten methanogenen Archaeen, die das Methan im Pansen von Kühen bilden, sind winzige, aber sehr spezialisierte Einzeller. Sie nutzen die Abbauprodukte anderer Mikroorganismen im Pansen, wie Wasserstoff und Kohlendioxid, und bilden daraus Methan. Dies gelangt beim Rülpsen der Kühe in die Atmosphäre. Die so freigesetzten Mengen sind nicht unerheblich; schnell können mehr als 300 Liter Methan pro Tag und Kuh zusammenkommen.

© Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW

DIALOG MILCH: Warum gilt dieses Methan als klimaschädlich?

Martin Hünerberg: Hier lohnt es, genauer hinzuschauen. Zunächst ist es so, dass weltweit viel, viel weniger Methan als Kohlendioxid ausgestoßen wird. Allerdings kann Methan deutlich mehr Wärmeenergie speichern als CO2. Deshalb gilt Methan im Vergleich mit der gleichen Menge Kohlendioxid als 25- bis 28-mal klimawirksamer. Methan bleibt allerdings nicht für immer in der Atmosphäre, sondern wird dort natürlicherweise um- bzw. abgebaut. Ergänzend ist zu sagen, dass Rinder nicht nur zur Methanproduktion beitragen, sondern auch dazu, Grasland zu erhalten. Und Gras- bzw. Weideland ist ein ganz wichtiger Kohlenstoffspeicher, der dabei hilft, das Klima zu schützen. Das ist aber kein Grund, die Dinge zu beschönigen: Methan ist ein Treibhausgas und die Rinderhaltung trägt zu seiner Entstehung bei.

DIALOG MILCH: Ist die Methanproduktion im Pansen denn unvermeidlich?

Martin Hünerberg: Emissionen, die bei der Verbrennung fossiler Kraftstoffe freigesetzt werden, lassen sich durch den konsequenten Einsatz alternativer Antriebssysteme mehr oder weniger komplett vermeiden. Das ist mit dem Methan aus dem Pansen der Wiederkäuer so nicht möglich. Sowohl bei domestizierten Rindern als auch bei Wildtieren ist die Verdauung – und dabei die Freisetzung von Methan – ein natürlicher und unvermeidlicher Prozess. Vereinfacht gesagt: „Die methanfreie Kuh gibt es (noch?) nicht. Allerdings haben wir Stellschrauben, an denen gedreht wer-den kann, und an denen die Landwirtschaft in Europa und Deutschland schon erfolgreich dreht: Damit meine ich z. B. die bedarfsgerechte und hochwertige Fütterung von Kühen: Pro Liter Milch, der in Deutschland produziert wird, werden circa 1 kg CO2-Äquivalente freigesetzt. Das ist nur etwa halb so viel wie im weltweiten Durchschnitt.

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DIALOG MILCH: Ist damit das „Ende der Fahnenstange“ erreicht – oder geht noch mehr?

Martin Hünerberg: Wir kennen und verstehen noch lange nicht alle Zusammenhänge. Deshalb ist es relativ schwer zu sagen, wie weit sich die Methanemissionen von Rindern mittel- oder langfristig senken lassen. Wir beschäftigen uns an der Universität Göttingen schon länger mit dem Thema Methanreduktion und sind damit bei Weitem nicht allein. Weltweit wird sehr intensiv zu dem Thema geforscht. Dabei zeigt die Anpassung des Futters bislang die beste Wirkung: Je leichter verdaulich das Futter ist, desto kürzer verbleibt es im Pansen. Das führt dazu, dass weniger CH4 gebildet und anschließend von den Tieren ausgestoßen wird. Mehr Kraftfutter anstelle von weniger gut verdaulichem Gras oder Heu zu füttern, führt also zur Reduktion von Methanemissionen. Allerdings macht das nur Sinn, wenn bei der Erzeugung des Kraftfutters möglichst wenig Treibhausgase freigesetzt werden. Sonst kann dieser Ansatz sogar kontraproduktiv sein. Außerdem ist es wichtig, das Tierwohl im Auge zu behalten und nur so viel Kraftfutter zu füttern, wie die Kuh verträgt. Als Wiederkäuer brauchen Kühe unbedingt Heu, Silage oder Gras in ihrem Futter. Die Natur setzt uns bei unseren Verminderungsbemühungen also eine natürliche Grenze. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich bin davon überzeugt, dass eine angepasste bzw. verbesserte Fütterung dazu beitragen kann, die Methanemissionen weiter zu senken. Das „Ende der Fahnenstange“ ist also noch nicht erreicht. Es geht sicher noch mehr.

© Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW

DIALOG MILCH: Eine letzte Frage: Welche weiteren Ansätze gibt es, und welche Entwicklung zeichnet sich ab?

Martin Hünerberg: Die Ansätze sind ganz vielfältig. Zum Beispiel gibt es einige Fettsäuren, von denen wir wissen, dass die methanbildenden Archaeen empfindlich auf sie reagieren. Man könnte diese Fettsäuren z. B. dem Futter zusetzen, um die Methanemissionen zu reduzieren. Außerdem haben verschiedene Pflanzeninhaltsstoffe, wie einige ätherische Öle, in Versuchen gezeigt, dass sie die Methanbildung einschränken können. Auch die könnte man dem Futter zusetzen. Andere Arbeitsgruppen beschäftigen sich damit, eine Impfung gegen die methanbildenden Archaeen im Pansen zu entwickeln, oder sie versuchen, Kühe zu identifizieren, die im Vergleich zu anderen besonders wenig Methan produzieren. Wenn wir genau verstehen, warum diese Kühe weniger Methan abgeben als andere, können wir die Ergebnisse vielleicht auf die Praxis übertragen und Landwirten helfen, Kühe mit möglichst geringen Methanemissionen zu halten.
Abgesehen vom Methan spielen auch andere Treibhausgase wie Kohlendioxid und Lachgas eine Rolle in der Milchviehhaltung. Sie werden nicht direkt von der Kuh abgegeben, sondern beim Anbau, der Verarbeitung oder dem Transport des Futters frei. Wenn wir es schaffen, diese Emissionen weiter zu senken, können wir auch positiven Einfluss auf die Klimawirksamkeit der Erzeugung von Milch und Rindfleisch nehmen.

© Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW

Hier gilt es, Futtermittel, deren Erzeugung mit relativ hohen Treibhausgasemissionen verbunden ist, zu ersetzen. Ein Beispiel hierfür wäre Sojaschrot aus einigen Teilen Südamerikas, das mit relativ hohen Emissionen aus Landnutzungsänderung behaftet sein kann. Wenn wir es schaffen, diese Futtermittel soweit es geht zu ersetzen, helfen wir dem Klima ganz unmittelbar. Sie sehen, es gibt sehr viele Ansätze, die Treibhausgasintensität der Rinderhaltung zu reduzieren. In der Wissenschaft und der landwirtschaftlichen Praxis ist einiges in Bewegung. Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Thema.

DIALOG MILCH: Herr Dr. Hünerberg, ganz herzlichen Dank für diese interessanten Einblicke!