21. November 2018

Über Trächtigkeitskontrollen, Tierwohl und Antibiotika-Einsatz: Mit dem „Land-Tier-Arzt“ unterwegs

Großtierarzt mit Leib und Seele:
Dr. Christoph Geuchen aus Hamminkeln

Das Tierarzt-Gen wurde ihm förmlich in die Wiege gelegt, und auch die Entscheidung, sich auf das Rind zu spezialisieren, hat er schon lange vor Beginn des Studiums gefällt: Dr. med. vet. Christoph Geuchen ist Großtierarzt mit Leib und Seele. DIALOG MILCH konnte ihn auf zwei Milchviehbetriebe begleiten.

„Familiäre Vorbelastung“ nennt der 1965 geborene Christoph Geuchen schmunzelnd als Grund, warum er 1985 das Studium der Veterinärmedizin aufgenommen hat. Schließlich waren sein Vater und ein Onkel Tierärzte, und auch ein Bruder und ein Vetter teilen die familiäre Leidenschaft für Tiergesundheit. „Die Kühe liebe ich schon“, sagt der auf Großtiere spezialisierte Geuchen, „denn sie sind angenehm ruhige Patienten, mit denen man hervorragend arbeiten kann, wenn man selbst im Stall die nötige Ruhe mitbringt.“
Wenn nicht einer seiner wöchentlichen Montags-Nachtdienste ansteht oder einzelne Kollegen schon zu Haus- und Hofbesuchen aufgebrochen oder im Urlaub sind, beginnen die normalen Arbeitstage von Christoph Geuchen um 8.30 Uhr: Zu dieser Zeit treffen sich die insgesamt 18 Tierärztinnen und Tierärzte der „Tierarztpraxis an der Güterstraße“ in Hamminkeln, NRW, zu ihrer Teambesprechung. Dabei geht es um Informationsaustausch, Abstimmung und Aufteilung der Betriebsbesuche. „Für uns ist wichtig, dass wir regelmäßige Routinetermine ebenso wie kurzfristig angefragte Kontroll- und Beratungsbesuche – und natürlich Notfälle – pünktlich bzw. schnellstmöglich wahrnehmen und unsere Kunden optimal betreuen können“, erklärt der Tierarzt später auf dem Weg zum ersten Milchviehbetrieb.

Im Team geht’s besser!

Für Christoph Geuchen hat die Arbeit in einer solchen Gemeinschaftspraxis enorme Vorteile: „Ein niedergelassener Tierarzt, der seine Praxis als ‚Einzelkämpfer‘ führt, macht alle Behandlungen selbst – tagsüber ebenso wie die Notfälle in der Nacht. Wir dagegen können Notdienste wie auch Routinefälle aufteilen und so die Last auf mehrere Schultern verteilen.“ Das ist auch ein Grund, weshalb er eine wachsende Tendenz zu Gemeinschaftspraxen sieht, die jeweils große Gebiete und viele Betriebe betreuen. Zunehmend werde auf dem Land auch ein Tierärztemangel erkennbar, der die Betreuung größerer Gebiete erforderlich mache.

Auf dem ersten Betrieb im niederrheinischen Rees geht es um einen Routinebesuch: Bei der Trächtigkeitskontrolle etlicher Milchkühe prüft Geuchen, ob sie wie geplant tragend sind und alles nach einem regulären Verlauf der Trächtigkeit aussieht. Sabine und Michael Mölder von der Betriebskooperation S.W.M. GbR begleiten ihn durch den Stall und rufen die Nummern der zu kontrollierenden Tiere auf. Bei den meisten untersuchten Kühen lautet die Diagnose kurz und knapp „tragend“. Bei einigen wenigen Tieren muss jedoch die nächste Brunst abgewartet werden, zu der die Tiere dann erneut besamt werden können.

„Abhör-Spezialist“

Enorme Entwicklungen in der Milchviehhaltung

Für Christoph Geuchen sind Tierwohl und Tiergesundheit untrennbar miteinander verbunden. „Die Milchviehhalter haben sich in den vergangenen Jahren ein enormes Wissen angeeignet“, sagt er. Sie seien unglaublich breit aufgestellt und auch technisch Allrounder. Gerade hier am Niederrhein gebe es noch viele Betriebe, die weniger als 100 Milchkühe hielten. „Die Betriebsleiter, die nicht wirklich gerne gemolken und deshalb schon ganz früh auf automatische Melksysteme gesetzt haben, die haben den Strukturwandel in der Landwirtschaft meist nicht überlebt. Aber die, die gerne melken, die die Tiere im Blick halten und ‚es können‘ – die wirtschaften auch noch heute erfolgreich. Und dabei ist es egal, ob sie Melkroboter oder andere moderne Melktechnik nutzen“, stellt der Tierarzt fest.

Gerade dieses Jahr, so berichtet er auf dem Weg zum zweiten Betrieb, haben die Witterung und die daraus resultierende Futterknappheit vielen Landwirten enorm zugesetzt. Die tier- und leistungsgerechte Zusammenstellung der Ration sei gerade dann besonders wichtig, wenn hochwertiges betriebseigenes Futter knapp sei. „Die Betriebe müssen heute an allen Schrauben drehen, um eine hohe Tiergesundheit, eine lange Nutzungsdauer und ein System zu erreichen, in dem es den Kühen wirklich gut geht. Und dazu gehört unbedingt auch der Schutz der Tiere vor Infektionskrankheiten – also entsprechende Hygiene im Stall“, betont er. Auch die Digitalisierung mit Herdenmanagementsystemen und automatischer Erfassung von Gesundheits- und Leistungsparametern jeder einzelnen Kuh habe enorme Vorteile. Aber klar sei auch: „Technik kann das wachsame Auge der Tierhalter nicht ersetzen, und aus der digitalen Datenflut sollten immer nur die Informationen gezielt herausgepickt werden, mit denen der Einzelne sinnvoll arbeiten kann.“

Dr. Geuchen ist mit der „Tierarztpraxis auf Rädern“ auf dem zweiten Betrieb des Tages eingetroffen

Turbokuh?

„Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Vor 100 Jahren war die Lebensdauer der Kühe länger. Abgangsursache war da vielleicht der altersbedingte Zahnausfall“, bringt Christoph Geuchen die damaligen Verhältnisse etwas überspitzt auf den Punkt. Heute seien beispielsweise Unfruchtbarkeit, chronische Euterentzündungen oder eine deutlich nachlassende Milchleistung einige der Gründe, wa-rum Milchkühe vorzeitig geschlachtet würden. „Kein Bauer gibt eine Kuh unnötig auf, denn schließlich hat deren Aufzucht Geld gekostet“, sagt der Tierarzt. Aber der Abgang der Kühe, so macht er auch deutlich, sei im Durchschnitt oft noch etwas zu früh. Der Schlüssel liege im optimalen Management von Umfeld, Tier-wohl, Tiergesundheit, Fütterung und Hygiene. Es gebe viele Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass die Kühe älter werden und weiter hohe Leistungen bringen könnten.*

„Wir Tierärzte wollen wie die Landwirte noch weiter weg von der Notfallmedizin, und nur ein gesunder Betrieb ist zufrieden“, erzählt Geuchen bei seinem Rundgang auf dem zweiten Betrieb. Auch hier bei Johannes Vennemann in Rees-Mehr geht es um Trächtigkeitskontrollen und um Behandlungsempfehlungen für eine Kuh, die sich ein Hämatom an der Schulter zugezogen hat.

Auf dem Rückweg zur Praxis berichtet Christoph Geuchen, dass für ihn trotz aller Zufriedenheit mit seinem Beruf nicht alles rundläuft. Die Unberechenbarkeit der Politik sei ein ganz wesentlicher Faktor, und die wachsende Flut von Auflagen sorgten etwa bei Betriebskontrollen zum Teil dafür, dass den Kontrolleuren das Augenmaß verloren gehe. Manche der Auflagen seien kaum noch nachvollziehbar, moniert der Fachmann (vgl. Interview zur Tiergesundheit).

Auch hier wird vorsichtig erfühlt, ob die Kuh tragend und alles in Ordnung ist

Auch die dritte Generation?

Trotz solcher Rahmenbedingungen, die den Alltag von Milchviehhaltern wie Tierärzten zum Teil gleichermaßen erschweren, ist Christoph Geuchen Tierarzt mit Leib und Seele. Der Austausch mit Kollegen, die Arbeit im Freien, zu spüren, dass Landwirte von seiner Arbeit profitieren und zufrieden mit den Erfolgen seien, die gemeinsam erarbeitet wurden, das ergebe schon eine enorm starke Motivation. Auch die „schnellen Erfolge“, die etwa bei einer geleisteten Geburtshilfe sichtbar würden, seien immer wieder beglückend.

Seinen vier Kindern im Alter von 18 bis 24 Jahren würde Christoph Geuchen den Beruf des Tierarztes allerdings dennoch nicht nahelegen. „Sie müssen selbst für sich entscheiden, ob dieser Weg für sie infrage kommt. Wenn sie sich allerdings dafür entscheiden, dann ist klar, dass ich sie nach Kräften unterstütze. Aber es muss ihre eigene freie Entscheidung sein“, erzählt er, und lässt zum Abschluss offen, ob die Tochter, die gerade Biologie studiert, vielleicht doch noch in seine Fußstapfen treten wird.

Nachgefragt: Tiergesundheit und Antibiotika in der Milchviehhaltung – ein Problem?

Zurück in der Praxis: Befunde und Maßnahmen der Betriebsbesuche werden dokumentiert.

DIALOG MILCH: Herr Dr. Geuchen, wie sehen Sie den Einsatz von Antibiotika in der Milchviehhaltung?

Dr. Christoph Geuchen: Die ursprüngliche Diskussion um den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung kam ja aus der Mast. Da gilt, dass ein Einsatz zur Leistungssteigerung wie auch ein prophylaktischer Einsatz seit 2006 in Deutschland und der EU verboten ist. Darüber hinaus sind die in der Nutztierhaltung eingesetzten Mengen von Antibiotika deutlich rückläufig. Die öffentliche Debatte berücksichtigt diese positiven Entwicklungen leider nicht.

DIALOG MILCH: Ist an der Diskussion um den Einsatz von Antibiotika bei Milchkühen also „nichts dran“?

Dr. Christoph Geuchen: Nein, so einfach kann man sich das nicht machen. Auch in der Milchviehhaltung werden durch den Tierarzt – wenn eine Behandlung erforderlich ist – Antibiotika verabreicht. Dabei wurden noch zu oft die sogenannten Reserveantibiotika eingesetzt. Gerade das wird in der Öffentlichkeit oft kritisiert. Allerdings werden jetzt bei jedem Einsatz dieser Antibiotika Keimbestimmungen und Antibiogramme durchgeführt. Dabei finden wir in unserem eigenen Praxislabor fast keine multiresistenten Keime.

DIALOG MILCH: Welche Möglichkeiten sehen Sie trotzdem, um den Einsatz von Antibiotika in der Milchviehhaltung noch weiter zu verringern?

Dr. Christoph Geuchen: Lassen Sie mich zunächst betonen: Antibiotika werden ausschließlich durch den Tierarzt und zur Behandlung entsprechender Krankheiten eingesetzt. Der Einsatz wird dokumentiert. Aber die Dokumentation des Körpergewichtes bei ausgewachsenen Milchkühen für jedes apotheken- oder verschreibungspflichtige Arzneimittel zu fordern, ist mit sehr viel Aufwand und wenig zusätzlichem Erkenntnisgewinn verbunden. Da würde ich schon begrüßen, wenn die Politik mehr Augenmaß zeigen würde.

Einen weiteren Rückgang des Antibiotikaeinsatzes bei den Milchkühen erreichen wir nicht nur durch verschärfte staatliche Auflagen, sondern auch über die Optimierung der Haltung und Fütterung unserer Kühe – und da arbeiten Landwirte, Futterberater und Tierärzte eng zusammen.“

DIALOG MILCH: Herr Dr. Geuchen, herzlichen Dank für Ihre Erläuterungen!

* Eine Milchkuh wird in Deutschland durchschnittlich knapp fünfeinhalb Jahre alt, wobei sie länger als drei Jahre als Milchkuh gehalten wird.

Diese Lebenserwartung blieb in den letzten 20 Jahren unverändert, trotz der Steigerung bei der durchschnittlichen Milchmenge, die im gleichen Zeitraum erreicht wurde. Weil Ex-perten diese Lebenserwartung von Milchkühen als zu gering bewerten, legt die deutsche Rinderzucht inzwischen einen erheblich höheren Stellenwert auf Gesundheits- und Fit-nessmerkmale (z. B. Eutergesundheit, Stoffwechselstabilität) als auf klassische Leis-tungsmerkmale. Auch dem Landwirt ist eine höhere Lebenserwartung seiner Kühe wichtig.

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