6. August 2020

„Mehr Tierschutz gibt es nicht umsonst“

Gibt es eine Bereitschaft für Lebensmittel von tiergerecht gehaltenen Tieren mehr zu bezahlen?

Seit Monaten protestieren Landwirte in Deutschland gegen stetig neue Auflagen, die aus ihrer Sicht das Wirtschaften unmöglich machen. Auf der anderen Seite stehen immer mehr Verbraucher, die sich mehr Umwelt- und Tierschutz wünschen. Aber wie kann eine Landwirtschaft aussehen, die hochwertige Nahrungsmittel wie Milch erzeugt, den Landwirten ein stabiles wirtschaftliches Auskommen ermöglicht, das Wohl der Tiere im Blick behält und auch noch die Umwelt schützt?

„Die Menschen in Deutschland müssen über die Tierhaltung informiert werden, so wie sie tatsächlich aussieht“, sagt Frigga Wirths, die beim Deutschen Tierschutzbund als Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft tätig ist. Dazu sind nach Meinung der Veterinärin Aufklärungskampagnen erforderlich. Nur durch Aufklärung und Transparenz könne der tiefer werdende Graben zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern wieder zugeschüttet werden. „Um die Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhöhen, müssen zudem mögliche Verbesserungen bei der Tierhaltung tatkräftig und kontinuierlich umgesetzt werden“, sagt Frigga Wirths. „Das kostet Geld und diese zusätzlichen Aufwendungen müssen den Landwirten erstattet werden.“

Frigga Wirths

Doch wer will das bezahlen?

Ob der Verbraucher bereit ist, tiefer in die Tasche zu greifen und die bessere Haltung von Milchkühen zu unterstützen, will die Verbraucherinitiative „Du bist hier der Chef!“ herausfinden. Der im Juni 2019 gegründete Verein möchte Verbraucher unterstützen, die bei ihrer Kaufentscheidung Verantwortung übernehmen wollen. „Unser Ziel ist es, unsere Produkte selbst zu gestalten, sie nach unseren Wünschen produzieren zu lassen und zu einem fairen Preis zu vermarkten“, sagt Nicolas Barthelmé, der Gründer der Initiative. Zum Start hat er das Produkt Milch ausgewählt, unter anderem auch deshalb, da hier das Dauerthema Tierwohl eine wichtige Bedeutung habe, begründet der 45-Jährige aus Eltville am Rhein seine Wahl.

Bis Ende Februar 2020 konnten Verbraucher auf der Webseite der Initiative dubisthierderchef.de kostenfrei und anonym entscheiden, was ihnen bei ihrer Milch wichtig ist: zum Beispiel, ob die Kühe ganzjährig im Stall bleiben oder unbedingt auch auf der Weide stehen sollten. Mehr als 9300 Antworten gingen ein und auch hier wurde deutlich, dass viele Konsumenten das Thema Tierschutz bewegt. „Zwei Drittel der Befragten haben dem Thema Tierwohl fünf von fünf Sternen gegeben, was einem ausgezeichneten Tierwohl entspricht“, sagt der Initiator. Bei der Bewertung des Tierwohls berücksichtigt die Initiative fünf Aspekte: die Bewegungsmöglichkeiten der Tiere, ihre Sozialkontakte, die Bodenbeschaffenheit im Stall und auf der Weide, das Stallklima mit Licht, Luft und Lärm und die Betreuungsqualität und -intensität.

Markus Hübers

Die Milch mit „ausgezeichnetem Tierwohl“ soll am Ende im Handel 1,45 Euro pro Liter kosten. Für den Liter in Bio-Qualität wird der Landwirt 58 Cent erhalten. „Neben dem Biomilchpreis von 52 Cent, vergüten wir den beteiligten Landwirten den höheren Aufwand, den er unter anderem im Bereich Tierwohl hat, mit zusätzlichen 6 Cent“, erklärt Nicolas Barthelmé und unterstreicht: “Mit dem Kauf dieser Milch kann der Verbraucher etwas für das Tierwohl tun und gibt dem Landwirt die Möglichkeit, diesbezüglich in seinen Betrieb zu investieren.“ Seit Ende Juli ist die Milch erstmals im Handel verfügbar. Damit wollen die Initiatoren zeigen, dass es möglich ist, einen Weg hin zu mehr Fairness und Nachhaltigkeit zu gehen.

Markus Hübers, der einen Milchviehbetrieb mit 300 Kühen im Kreis Kleve am Niederrhein bewirtschaftet, ist nicht davon überzeugt, dass die Verbraucher auf Dauer bereit sind, für das Grundnahrungsmittel Milch tiefer in die Tasche zu greifen. „Viele reden davon, es sei für sie kein Problem, mehr Geld für einen Liter Milch auszugeben, wenn dafür das Tierwohl verbessert werden könnte. Aber am Ende greifen die meisten Verbraucher doch oft zum günstigsten Produkt“, glaubt Markus Hübers. „Es gibt aktuell schon Milchprodukte auf dem Markt, die bestimmte Tierschutzstandards garantieren, sogar beim Discounter“, erklärt der Landwirt. Aber die seien mindestens 30 Cent teurer als die günstige Variante und das schrecke viele Verbraucher ab, so Hübers. „Gerade in der aktuellen Corona-Krise hat alles was hochpreisiger ist einen Dämpfer erhalten“, stellt Hübers fest, „auch weil viele Menschen aktuell in Kurzarbeit sind und sparen müssen.“

Nicolas Barthelmé

Beim Preis setzt auch Frigga Wirths an: „Aus meiner Sicht, muss sich auch der Handel zu seiner Verantwortung für das Wohlergehen der Tiere bekennen. Er sollte daher die billigste Milch komplett aus den Regalen verbannen“, fordert die Tierschützerin. Leider dienten Milchprodukte auch heute noch häufig als Lockangebote für Discounter und Supermarktketten, was nach den Worten von Frigga Wirths eindeutig zu Lasten des Tierschutzes gehe. „Mehr Tierschutz gibt es nicht umsonst“, sagt die studierte Veterinärin.

Auch das Thema Weidehaltung sehen Experten eng mit dem Tierwohl verknüpft. „Für mich gehört eine Kuh auf die Weide“, sagt Frigga Wirths, „da Weidehaltung dem Bewegungsdrang der Kühe entspricht und damit zum Tierwohl beiträgt.“. Markus Hübers, der seine Kühe in einem großen, luftigen Boxenlaufstall hält, gibt der Tierärztin grundsätzlich recht, erklärt aber, dass die Weidehaltung sich auch nachteilig in Bezug auf Tierwohl und Tiergesundheit auswirken kann. Gerade auch deswegen, weil es bei uns aufgrund der klimatischen Gegebenheiten nicht möglich ist, die Kühe das ganze Jahr auf die Weide zu lassen.

„Ich sehe meine Aufgabe und Verantwortung darin, die richtige Balance zwischen einer natürlichen Haltung und negativen Gesundheitseinflüssen, wie zum Beispiel Hitzestress im Sommer zu finden“, fasst Hübers zusammen. An 60 bis 80 Tagen im Jahr sei die Weide positiv für die Tiere, aber der Stall müsse so gut sein, dass er den Bedürfnissen und dem natürlichen Verhalten von Milchkühen das ganze Jahr über gerecht werde. Wenn der Verbraucher bereit wäre, dem Landwirt den höheren Aufwand mit einem höheren Milchpreis zu vergüten, kann Markus Hübers sich aber vorstellen, dass mehr Landwirte über das Thema Weidehaltung nachdenken würden. Das hofft auch Nicolas Barthelmé mit seiner Initiative „Du bist hier der Chef!“.