23. August 2018

Sind Exporte von Milch und Milcherzeugnissen aus Deutschland und Europa in andere Teile der Welt sinnvoll? Macht unsere Milch dort Strukturen und Märkte kaputt? In welche Länder gehen europäische Milcherzeugnisse überhaupt? DIALOG MILCH hat bei Prof. Dr. Sebastian Hess vom Institut für Agrarökonomie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zu den Eckdaten der deutschen und europäischen Milchexporte nachgefragt. Darüber hinaus wurden Ottmar Ilchmann, Milchbauer und Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), und Karsten Schmal, Milchbauernpräsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), um ihre Sicht zum Pro und Kontra von Milchexporten gebeten.

In der Einleitung des Milchberichts 2017 des BMEL heißt es nüchtern, der EU-Milchmarkt sei nach der schrittweisen Reduzierung der Interventionspreise und der Aussetzung der Exporterstattungen verstärkt in den Weltmarkt eingegliedert worden. Damit sei es auch zu einem besseren Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Weltmarkt gekommen [1].

Wenn aber eine Nachfrage am Weltmarkt besteht, sind Exporte dann nicht eine mögliche und logische Antwort? – Genau daran scheiden sich die Geister.

Eckdaten aus Sicht der Wissenschaft:

Prof. Dr. Sebastian Hess, CAU Kiel

Aus wissenschaftlicher Sicht sind Exporte und Importe der Ausdruck von relativen Angebots- und Nachfrageüberhängen, welche durch die Geschäftstätigkeit der beteiligten Firmen in den jeweiligen Regionen ausgeglichen werden. Bei Agrarexporten vieler entwickelter Länder, wie z. B. der EU, steht jedoch die Frage im Raum, ob bestimmte Angebotsüberhänge durch agrarpolitische Eingriffe künstlich geschaffen werden und es dadurch zu einer Benachteiligung von Milchproduzenten in anderen Regionen kommt. Während man versucht hat, die europäische Agrarpolitik durch die Entkopplung der Direktzahlungen* weniger relevant für die Produktionsmengen werden zu lassen, muss insbesondere das EU-Interventionspreissystem für Butter und Magermilchpulver in dieser Hinsicht nach wie vor kritisch betrachtet werden. Das inzwischen sehr niedrige Interventionspreisniveau** scheint auf den ersten Blick kaum noch ins Gewicht zu fallen, aber gerade extreme Tiefpreisphasen werden durch dieses System nach wie vor abgemildert, sodass die eine oder andere Investition in Produktionskapazitäten im europäischen Markt ohne diesen „doppelten Boden“ wahrscheinlich unterbleiben würde.

[*Anm. d. Red.: Durch die Entkopplung hängt die Gewährung der Direktzahlungen nicht mehr davon ab, welches Produkt in welcher Menge erzeugt wird.

** Anm. d. Red.: Der Interventionspreis ist ein von der Europäischen Union festgelegter garantierter Mindestpreis für bestimmte Agrarprodukte. Den Erzeugern wird die Abnahme ihrer Produkte zum Mindestpreis garantiert; kann dieser auf dem EU-Markt nicht erreicht werden, kauft eine Interventionsstelle die Produkte zu diesem Interventionspreis auf.]

Die Löwenanteile entfallen auf 5–10 Abnehmerländer

Selbst bei einer vollständigen Liberalisierung des EU-Milchsektors kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Deutschland als fünftgrößter Milchproduzent der Welt auch weiterhin in nennenswertem Umfang exportieren würde. Dies hängt jedoch nicht nur mit der Verfügbarkeit des Rohstoffs Milch zu wettbewerbsfähigen Produktionskosten zusammen, sondern wird auch maßgeblich durch die Exportkompetenz der jeweiligen Molkereien bedingt: Deutsche Molkereien exportieren Milchprodukte in nahezu alle Länder, die auch Milchprodukte importieren, aber die Löwenanteile entfallen meist nur auf die 5–10 wichtigsten Abnehmerländer. Im Jahr 2017 haben deutsche Molkereien beispielsweise Butter vornehmlich in die USA, nach Japan und in den Iran exportiert. Für die EU insgesamt waren die USA, Saudi-Arabien und China die wichtigsten Abnehmerländer. Bei Magermilchpulver war Deutschland der wichtigste Exporteur der EU; die wichtigsten EU-Abnehmerländer waren Algerien, China, Indonesien, Philippinen, Ägypten, Mexiko und Vietnam, sowie viele weitere. Beim Vollmilchpulver waren zudem Nigeria und der Oman bedeutsam [2].

Exportmengen alleine sind nicht aussagefähig genug!

Diese Handelsmuster verändern sich jedoch mitunter von Jahr zu Jahr und manchmal auch sprunghaft, weshalb einige allgemeine Betrachtungen für die Bewertung deutscher Milchexporte zielführender sind als ein allzu detaillierter Blick auf absolute Handelsmengen: Auch eine aus deutscher Sicht relativ kleine Exportmenge kann einen relativ großen Einfluss auf den Milchmarkt eines importierenden Landes nehmen, wenn dessen Milchsektor beispielsweise insgesamt relativ klein ist. Die Auswirkungen europäischer Exporte auf die Milchmärkte in Empfängerländern können daher grundsätzlich nicht zuverlässig an Exportmengen abgelesen werden, sondern müssen anhand einer Betrachtung der Märkte im jeweiligen Empfängerland vorgenommen werden.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind hierbei verschiedene Faktoren zu bedenken, über die insgesamt bisher noch recht wenige empirisch gut abgesicherte Untersuchungen vorliegen: In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern existiert insbesondere in urbanen Ballungsräumen eine wachsende Nachfrage nach verarbeiteten Nahrungsmitteln, die sich zunehmend von der Versorgung mit traditionell verarbeiteten Nahrungsmitteln aus dem Hinterland entkoppelt. Neben strukturellen Defiziten bei Infrastruktur und Verarbeitungsindustrie kann hierbei auch ein Präferenzwandel der städtischen Bevölkerung relevant sein. Dies bedeutet, dass importierte Milchprodukte und inländische Milchprodukte in den Augen der Verbraucher importierender Länder keine gleichwertigen Nahrungsmittel darstellen, sondern importierte Milchprodukte mitunter als qualitativ höherwertig, sicherer oder einfach attraktiver angesehen werden.

Und die Nachfrage wächst weiter

Gerade in Entwicklungsländern ist die heimische Milchverarbeitungsindustrie entweder auf einem technisch relativ niedrigen Stand oder existiert überhaupt nur in Form traditioneller, handwerklicher Milchverarbeitung. Die so erzeugten Produkte verlieren aus Sicht urbaner Verbraucher in diesen Ländern mitunter stark an Attraktivität, sobald verarbeitete Milchprodukte aus Importen verfügbar und bezahlbar werden. Gerade diese Verfügbarkeit ‚moderner‘ Nahrungsmittel empfinden Verbraucher mitunter als besonders wünschenswert.

Eine Unterstützung der Milcherzeuger in importierenden Ländern kann unter diesen Vorzeichen wahrscheinlich nicht einfach dadurch erreicht werden, dass das inländische Preisniveau, etwa durch höhere Einfuhrzölle, angehoben würde. Vielmehr könnte sich dies aufgrund begrenzter Kaufkraft und eines in Entwicklungs- und Schwellenländern nach wie vor relativ hohen Anteils der Haushaltsausgaben für Nahrungsmittel unmittelbar auf den Verbrauch von Milchprodukten insgesamt auswirken. Stattdessen dürfte die Zukunft der Milchproduktion in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern eher in einer Modernisierung ihrer Milch-Wertschöpfungsketten liegen, wobei – wie überall – konsequent auf die Erzeugung qualitativ hochwertiger und in den Augen der Verbraucher hinreichend attraktiver Produkte gesetzt werden muss.

Ressourceneffizienz auch hier ein Thema

Es ist zudem sehr unwahrscheinlich, dass sich diese Modernisierung durch freiwillige Exportbeschränkungen der EU bzw. durch eine zunehmende Marktabschottung der entsprechenden Importländer quasi ‚von selbst‘ erzielen ließe. Vielmehr dürften ausländischen Direktinvestitionen und entsprechenden Technologie- und Wissenstransfers ein wesentlich höherer Wirkungsgrad zukommen als Eingriffen in die entsprechenden Handelsströme.

Ein weiterer wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit dem Welthandel von Milchprodukten ist die Nachhaltigkeit regionaler Produktionssysteme: Die Haltung von Milchkühen zur Milchproduktion ist in manchen Regionen nur unter wesentlich höherem Energie- und Wasseraufwand möglich als in gemäßigten Breiten. Langfristig werden Handelsströme mit Milchprodukten daher auch unter dem Aspekt der globalen Ressourceneffizienz zu bewerten sein.

Positionen:

Ottmar Ilchmann, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)

Ottmar Ilchmann

Wenn ich mit Blick auf Milch und Milcherzeugnisse von Exporten spreche, dann beziehe ich mich nur auf die Ausfuhr von Massenware in Drittländer außerhalb der EU. Niemand hat etwas gegen den Export hochwertiger und hochpreisiger Milch- und Käsespezialitäten. Problematisch sind aber Exporte, die so billig verkauft werden, dass die deutschen Bauern für die dafür benötigte Milch keinen auch nur annähernd kostendeckenden Preis erhalten. Außerdem gefährden Dumpingexporte – z. B. von Milchpulver – in die Länder Afrikas die Märkte und die bäuerlichen Betriebe vor Ort.

Die Molkereien sehen in den weitgehend gesättigten Märkten Europas keine Möglichkeit mehr, ihren Absatz zu steigern. Sie wenden sich deshalb vermeintlich attraktiven Exportmärkten zu. Die Politik unterstützt und fördert diese Exportorientierung. Wir sollten aber nicht versuchen, die Welt zu ernähren. Es würde mehr Sinn machen, Milch, die bislang ohne ausreichende Wertschöpfung exportiert werden muss, erst gar nicht zu produzieren. Und das bedeutet: Die deutschen Milchbauern und Molkereien brauchen kein Mengen-, sondern ein Qualitätswachstum.

Würde die hiesige Milcherzeugung nur um wenige Prozentpunkte verringert und darauf verzichtet, diese Mengen – nicht kostendeckend – auf Drittlandmärkten abzusetzen, könnte man sich auf die Versorgung des lukrativen europäischen Marktes konzentrieren: mit hochwertigen und an den Verbrauchererwartungen orientierten Lebensmitteln. Das hätte auch Folgen für den Milchpreis. Eine an die hiesigen Absatzmöglichkeiten angepasste Milcherzeugung könnte zu relativ stabilen Milchpreisen führen und den Milchbauern hier bessere Wertschöpfungsperspektiven eröffnen.

Der freie Weltmarkt ist im Übrigen gar nicht so frei, denn bei vielen landwirtschaftlichen Produkten – das gilt auch für die Milch – besteht immer noch ein Außenschutz. Um letztlich für die Milchbauern in Deutschland und Europa zu einer besseren Situation zu kommen, sind alle Marktakteure gefragt: Bauern, Verarbeiter und Handel müssen die Märkte so gestalten, dass es für alle Beteiligten in der gesamten Kette eine Wertschöpfung gibt. Dazu gehört auch die Verantwortung für die produzierte Menge. Ich sehe die Politik in der Pflicht, dafür die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Positionen:

Karsten Schmal, Deutscher Bauernverband (DBV)

Karsten Schmal

Deutsche Exporte von Milch und/oder Milchprodukten sind keineswegs problematisch. Niemand würde auf die Idee kommen, den Außenhandel von Automobilen infrage zu stellen. Bei Lebensmitteln ist dies jedoch der Fall, obwohl auch dabei für beide Handelspartner die gleichen Wohlfahrtsgewinne erzielt werden: Ohne Handel wäre die Auswahl an Lebensmitteln für die Verbraucher geringer – bei gleichzeitig höheren Preisen. Ein Land importiert Waren, die dort nicht hergestellt werden können, weil in anderen Staaten zum Beispiel das Klima günstiger, die Arbeitskosten niedriger, die Strukturen effizienter oder die Böden fruchtbarer sind. So gewinnen beide Seiten vom Austausch der Waren. Es sollte also eine Auszeichnung sein, dass sich die deutsche Milchwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten so weiterentwickelt hat, dass ihre Produkte auch im Ausland auf eine interessierte Käuferschaft treffen. Dabei ist auch zu beachten, dass die Zielmärkte insbesondere in zahlungskräftigen Industrie- und Schwellenländern liegen. Nur 0,5 % der deutschen Gesamtausfuhren von Milch und Milchprodukten gehen in die immerhin 48 Staaten, die von den Vereinten Nationen als „am wenigsten entwickelt“ eingestuft sind.

Deshalb ist nicht einsehbar, warum es überhaupt ein Ziel sein sollte, Exporte von Milchprodukten zu reduzieren. Damit wäre niemandem geholfen: Nicht unseren Milchbauern und auch nicht denen in Entwicklungsländern. Zahlungskräftige Konsumenten fragen nach sicheren und schmackhaften Produkten, das gilt natürlich auch in Entwicklungsländern. Das kann die Milchwirtschaft in vielen Entwicklungsländern jedoch nicht bieten, sodass auf Importware zurückgegriffen wird. Hier sind Investitionen in Infrastruktur, Ausbildung oder Verarbeitungsstätten notwendig. Aus Sicht der deutschen Milchwirtschaft sollte es eher darum gehen, wertschöpfungsorientiert neue Exportmärkte zu öffnen und sich auf bestehenden Handelsplätzen zu etablieren. Im Vergleich zu französischen, niederländischen, irischen oder dänischen Molkereien besteht hier für die deutschen Molkereien weiterhin großer Handlungsbedarf, der zwar von der Politik begleitet werden kann, jedoch vorrangig von den Molkereien anzugehen ist.

Würden wir stattdessen eine Reduktion der Exporte anstreben, würden unsere Landwirte darunter leiden, denn schon heute hat Deutschland einen Selbstversorgungsgrad von umgerechnet 116 Prozent für Milch und Milchprodukte. Eine Reduktion des Exports hätte entsprechend eine Reduktion der Einkommensmöglichkeiten der Milchbauern zur Folge. Dabei würde die Nachfrage nach Milchprodukten in den bisherigen Exportmärkten natürlich weiterhin bestehen, dann aber nicht mehr aus Deutschland, sondern aus anderen Staaten bedient werden.

Vor mehr als 20 Jahren haben die europäischen Gesetzgeber den Beschluss gefasst, die Landwirtschaft nach und nach in den Markt zu entlassen. Das bleibt für uns weiterhin eine Herausforderung, denn wir müssen nun mit unseren Berufskollegen weltweit konkurrieren. Gleichzeitig bietet die fortschreitende Liberalisierung große Chancen. Die Wachstumsmärkte der Zukunft liegen nicht im weitgehend gesättigten Markt in Mitteleuropa.

Vor diesem Hintergrund sehe ich zwei zentrale Herausforderungen für den deutschen Milchsektor und somit auch für die deutschen Milchbauern: In zunehmend liberalen Märkten ist erstens die Wettbewerbsfähigkeit des Milchsektors zu sichern! Politik und Molkereien sehen wir deshalb in der Pflicht, die Position des deutschen Milchsektors im internationalen Wettbewerb zu stärken. In zunehmend liberalen Märkten sind zweitens Instrumente für den Umgang mit starken Preisschwankungen zu erhalten und auszubauen! Die Direktzahlungen sowie die Leitplanken des Milchmarktes, also Öffentliche Intervention und Private Lagerhaltung, haben den Milchbauern in der Krise ein Mindesteinkommen gesichert. Auf nationaler Ebene sollten die steuerlichen Anreize so gesetzt werden, dass sie den regelmäßigen Preisschwankungen gerecht werden. Neben dem staatlichen Rahmen sehen wir jedoch auch die Molkereien in der Pflicht. Und hier ist Bewegung zu erkennen – Elemente der Preisabsicherung sollen zunehmend Eingang in die Lieferbeziehungen zwischen Milchbauern und Molkereien finden. Das ist sehr gut – auch wenn wir für diese Forderung von Seiten der Molkereien sehr viel Kritik einstecken mussten.

[1] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/Milchbericht2017.pdf?__blob=publicationFile

[2] Eine leicht zugängliche Aufarbeitung dieser Handelsdaten in Tabellenform findet sich beim Milk Market Observatory der EU Kommission:  https://ec.europa.eu/agriculture/market-observatory/milk/latest-statistics/trade_en

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