19. Januar 2023

Wie sind die Empfehlungen der Borchert-Kommission zu beurteilen – und was könnte der Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland für Milchkuhhalter und Verbraucher bedeuten?

Ein erster Beitrag auf dieser Seite hat sich mit den Empfehlungen der Borchert-Kommission (Zum Beitrag) befasst. Deren Finanzierung – und damit auch deren Umsetzung – sind bislang ungeklärt. DIALOG MILCH hat bei Benedikt Langemeyer, einem der Vorsitzenden der Landesvereinigung der Milchwirtschaft in Nordrhein-Westfalen, dazu einmal nachgefragt.

DIALOG MILCH: Herr Langemeyer, wie beurteilen Sie die Vorschläge der Borchert-Kommission grundsätzlich? Könnten damit mehr Tierwohl, mehr Umweltschutz und eine bessere wirtschaftliche Situation der Betriebe mit Tierhaltung erreicht werden?

Benedikt Langemeyer: Die Antwort ist zweigeteilt: Prinzipiell halte ich sowohl die Einberufung dieser Kommission als auch deren Empfehlungen für gut. Dies gilt allein schon deshalb, weil in diesem Gremium mit einer sehr breiten Beteiligung unterschiedlichster Interessengruppen gemeinsam ein umsetzbarer Weg skizziert wurde. Bei einer entsprechenden finanziellen Ausstattung – drei Milliarden Euro wurden von der Borchert-Kommission genannt – halte ich tatsächlich große Fortschritte bei Tierwohl, Umweltschutz und der Wirtschaftlichkeit der Betriebe für umsetzbar. Allerdings, und das ist der zweite Teil der Antwort: Die Finanzierung dieser drei Milliarden steht nicht – und mit fehlender finanzieller Ausstattung schwindet auch die Erreichbarkeit der drei genannten Ziele.

DIALOG MILCH: Hängt die fehlende Umsetzung nur an der fehlenden Finanzierung?

Benedikt Langemeyer: Das ist sicher der blockierende Faktor; allerdings ist die Frage, warum es an der Finanzierung hapert. Und da scheint mir das eigentliche Problem mit dem Konzept der Borchert-Kommission zu liegen: Es fehlt der politische Wille zur Umsetzung! Seit Jahren ist man mit diesem Thema zugange, ohne dass es zu greifbaren Ergebnissen und umsetzbaren Programmen kommt. Die wirkliche Tragik liegt darin, dass wegen diesem erkennbar fehlenden politischen Willen inzwischen viele tierhaltende Betriebe den Mut verloren haben.

DIALOG MILCH: Wie wahrscheinlich ist es denn in Ihren Augen, dass ein tragfähiges, gesellschaftlich akzeptiertes Finanzierungsmodell gefunden und umgesetzt wird?

Benedikt Langemeyer: Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber da bin ich skeptisch. Ich habe eben die drei Milliarden genannt, die laut Thünen-Institut für die erfolgreiche Umsetzung erforderlich wären. Im Moment wüsste ich nicht, wo dieser Betrag herkommen sollte. Aber selbst wenn er jetzt zur Verfügung stünde: die Berechnung basiert auf Preisen, die vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs und aller damit verbundenen wirtschaftlichen Entwicklungen galten. Heute wäre die Umsetzung entsprechender Maßnahmen auf den Betrieben noch teurer. Wer sollte die Kosten dafür aufbringen? Solche Investitionen müssen für die Betriebe, die mit der Tierhaltung ihr Einkommen erzielen, ja auch wirtschaftlich darstellbar sein!

DIALOG MILCH: Würde eine solche Umsetzung für alle oder einzelne Verbraucher denn kostenneutral bleiben – und was hieße das gegebenenfalls für den Fleischverzehr in Deutschland insgesamt?

Benedikt Langemeyer: Ich denke, dass die Gesellschaft – das heißt die Tierhalter ebenso wie die Verbraucher – im Endeffekt die Kosten für die Umsetzung solcher Maßnahmen tragen müssen. Egal, ob mehr Tierwohl und mehr Umweltschutz über den Preis an der Ladentheke oder über Steuermittel finanziert werden – das Geld stammt letztlich von allen Steuerzahlern; für die kann die Umsetzung also nicht kostenneutral sein. Aber das sehe ich ganz entspannt: Wenn die Gesellschaft entsprechende Standards wünscht, muss sie auch angemessen dafür zahlen.

DIALOG MILCH: Wie ist es mit den landwirtschaftlichen Betrieben: Würden mit einem solchen Finanzierungssystem wirklich die gesamten Mehrkosten gedeckt?

Benedikt Langemeyer: Bei den Anforderungen, die aktuell diskutiert werden, bin ich mehr als skeptisch, dass die Mehrkosten vollständig gedeckt würden. Mit den ursprünglich von der Borchert-Kommission angesetzten drei Milliarden und zu damaligen Preisen denke ich schon, dass die Maßnahmen hätten kostendeckend umgesetzt werden können. Bei nur noch einer Milliarde, die aktuell diskutiert wird, glaube ich das nicht. Das ist viel zu wage und unsicher, und bislang sind auch die einzelnen Bausteine, die Landwirte dann umsetzen sollten, noch nicht klar definiert. Hier besteht in der Branche eine große Unsicherheit.

DIALOG MILCH: Rechnen Sie – aufgrund der mit mehr Tierwohl steigenden Kosten für Fleisch und der Kampagnen für einen größeren Anteil vegetarischer oder sogar veganer Ernährung – auch mit einem weiteren Rückgang tierhaltender Betriebe in Deutschland?

Benedikt Langemeyer: Wir sehen ganz allgemein einen gesellschaftlichen Trend zu vegetarischer oder sogar veganer Ernährung. Ich glaube, dass die Auswirkungen dieser Trends auf den Fleischverzehr – und damit auch auf die Zahl der tierhaltenden Betriebe in Deutschland – viel stärker sind als die Diskussion um und die Umsetzung von mehr Tierwohl und die damit steigenden Kosten.

DIALOG MILCH: Zum guten Schluss: Wenn wirklich weniger Nutztiere in Deutschland gehalten werden: Was heißt das dann für die Verbraucher?

Benedikt Langemeyer: Es liegt mir fern, Schwarzmalerei zu betreiben, aber wir sind auf einem gefährlichen Pfad unterwegs. Weniger Nutztiere in Deutschland und die damit sinkende Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe bedeuten, dass wir unsere Selbstversorgung aufs Spiel setzen. In der Konsequenz kommen tierische – und dann auch pflanzliche – Produkte zunehmend aus dem Ausland. Haben wir da noch Einfluss darauf, was, wie und zu welchen Standards produziert wird? Nein! Einen deutlichen Rückgang der Betriebe haben wir in den letzten Jahrzehnten schon erlebt, und auch ein Rückgang der Tierzahlen ist erkennbar. Die Zeit wird zeigen, wo uns Vegetarismus und Veganismus auf der einen Seite und steigende Kosten und sinkende Effizienz der produzierenden Betriebe auf der anderen Seite hinführen werden. Wir Tierhalter sehen all das mit großer Sorge.

DIALOG MILCH: Herr Langemeyer, ganz herzlichen Dank für diese offene Einschätzung zu den Vorschlägen der Borchert-Kommission, zu deren Umsetzung sowie zu den Auswirkungen auf Landwirtschaft und Verbraucher.

 Foto: Langemeyer

Klicke hier, um Ihren eigenen Text einzufügen