5. November 2020

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Willkommen Wolf!?

Im Jahr 2000 hat ein aus Polen eingewandertes Wolfspaar auf dem in Sachsen gelegenen Truppenübungsplatz Oberlausitz Welpen aufgezogen. Damit wurde die dauerhafte Rückkehr der Wölfe nach Deutschland zur Realität. Was die einen begeistert, stößt bei anderen auf Bedenken oder Ablehnung. Da von der Wiedereinbürgerung des Wolfs auch die Weidehaltung landwirtschaftlicher Nutztiere und damit z. B. Kälber betroffen sind, hat DIALOG MILCH einmal aktuelle Informationen zum Thema zusammengetragen.

Stand der Dinge

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) informiert unter dem Titel „Der Wolf in Deutschland“ über die Entwicklung dieses „alten Neubürgers“. Wölfe galten hierzulande seit der Mitte des vorletzten Jahrhunderts aufgrund intensiver Bejagung als ausgerottet. Heute sorgt das Bundesnaturschutzgesetz u. a. mit der Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie dafür, dass Wölfe streng geschützt sind. Die Tatsache, dass die Wiederausbreitung des Wolfs in Europa und Deutschland eine solche Dynamik gewonnen hat, ist für das BMU eine „vor dem Hintergrund des weltweiten wie auch des deutschlandweiten Verlustes an Artenvielfalt […] positive Entwicklung.“

Nach aktuellen Zahlen des Bundesamts für Naturschutz lebten in Deutschland gab es im Monitoringjahr 2019/20, das am 30. April 2020 zu Ende ging, bundesweit insgesamt 128 Wolfsrudel. „Neben den 128 Rudeln sind 35 Wolfspaare sowie zehn sesshafte Einzelwölfe für das Monitoringjahr 2019/20 bestätigt. Im vorhergehenden Monitoringjahr 2018/19 wurden 105 Rudel, 41 Paare und zwölf Einzelwölfe nachgewiesen“, so das BfN. Der Beutegreifer konnte inzwischen in 15 Bundesländern nachgewiesen werden. Wie Agra Europe (AgE) am 30. Oktober berichtete, gibt das BfN keine Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Wölfe heraus, während der Deutsche Jagdverband (DJV) den Bestand bereits im vergangenen Jahr auf rund 1.300 Tiere schätzte und für dieses Jahr mit einem Zuwachs um weitere 500 Wölfe rechnet.

Dazu stellte das BMU bereits im Vorjahr fest: „Der positive Trend der Populationsentwicklung und die damit verbundene Ausbreitung des Wolfes insgesamt hält jedoch weiter an. Damit steigt aber auch das Konfliktpotenzial, das den Umgang mit dem Wolf als einer streng geschützten Tierart zunehmend schwieriger und kontroverser gestaltet.“

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Ursachen für das Konfliktpotenzial

Auch wenn der Wunsch nach einer Wiedereinbürgerung des Wolfs aus Gründen des Artenschutzes nachvollziehbar ist, birgt sie Konfliktpotenzial: Ein Teil der Bevölkerung in Deutschland empfindet Angst davor, dass Menschen einem Wolf begegnen und von ihm angegriffen werden könnten. Und tatsächlich, es gibt europaweit einige wenige Fälle, in denen Menschen Wölfen zum Opfer gefallen sind. So heißt es beim Landesfachausschuss Wolf des Nabus unter Bezug auf die sogenannte Nina Studie: „In den extrem seltenen Fällen, in denen Wölfe Menschen getötet haben, waren die meisten Angriffe tollwütigen Wölfen zuzuschreiben. Neuere Fälle (d. h. nach 1950) sind selten, obwohl die Zahl der Wölfe in Europa zunimmt. 2007 gab es etwa 15.000 bis 20.000 Wölfe in Europa […]. Trotz dieser Zahlen konnten in Europa in den letzten 50 Jahren nur neun belegte Fälle gefunden werden, in denen ein Mensch von einem Wolf getötet wurde. In fünf von diesen Fällen hatten die Tiere Tollwut. Aus Nordamerika gibt es aus diesem Zeitraum keinen einzigen Fall.“

Wolfsangriffe auf Weidetiere

Deutlich anders ist das Bild bei Wolfsangriffen auf Weidetiere. Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) stellt einerseits fest: „Mit der Ausbreitung des Wolfsbestandes nehmen auch die wolfsverursachten Schäden zu. Die meisten Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere gibt es vor allem dort, wo Wölfe sich in neuen Territorien etablieren und die Schaf- und Ziegenhalter sich noch nicht auf deren Anwesenheit eingestellt haben. Meist gehen die Schäden in diesen Gebieten nach ein, zwei Jahren zurück, wenn die Tierhalter gelernt haben, mit der Anwesenheit von Wölfen umzugehen.“

Andererseits zeigt die ebenda veröffentlichte Schadensstatistik eine deutliche Zunahme der durch Wölfe verursachten Schäden an Nutztieren in Deutschland, die diesen „Gewöhnungseffekt“ nicht wirklich erkennen lässt. Und noch ein Punkt kommt hinzu: Schäden kommen nicht nur bei den genannten Tierarten Schaf und Ziege vor. Es gab auch bereits Fälle, in denen Kälber gerissen[1] wurden. Auch der SWR berichtete kürzlich: „Es herrscht Unruhe bei Milchbauern und Schafhaltern in der Eifel. Der Grund: Ein Wolf hat schon mehrere Tiere gerissen. Das haben DNA-Proben bestätigt. Betroffen ist auch ein Landwirt in Roscheid. […] Der Wolf war bei ihm im Rinderstall eingedrungen, mitten unter den 140 Kühen und Kälbern. Zwei Kälber hat der Wolf gerissen. Kein schöner Anblick, sagt der Landwirt.“

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Top agrar online berichtete bereits am 25.10.2010, dass in einer Mutterkuhherde im brandenburgischen Proschim mehrere Kälber von Wölfen gerissen worden seien. Und im Nordkurier war am 12.05.2020 zu lesen: „Den Verlust von gleich mehreren Kälbern muss ein Storkower Agrar-Betrieb verkraften. In einer Kuhherde des Unternehmens mit Sitz in Krackow hat ein Wolf am Montagabend gewütet – ein Jäger musste tatenlos zusehen.“

Nutztiere schützen – aber wie?

Das Bundesamt für Naturschutz hat 2019 mit den BfN-Skripten 530 Empfehlungen zum Schutz von Weidetieren und Gehegewild vor dem Wolf herausgegeben. Dort heißt es, dass die Rückkehr des Wolfs nach Deutschland auch Auswirkungen auf die offene Weidetierhaltung habe: „Wo Wölfe vorkommen oder prinzipiell zu- bzw. durchwandern können, ist durch entsprechende flächendeckend zur Anwendung kommende Maßnahmen ein Schutz von Weidetieren vor Wolfsübergriffen erforderlich.“

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Schutzzäune

Zu den empfohlenen Schutzmaßnahmen gehören beispielsweise ein Untergrabungsschutz bei Wildgattern für Reh-, Rot- und Damwild, Elektrozäune für Koppeln und Nachtpferche sowie Herdenschutzhunde. In dem BfN-Skript 530 werden die Anforderungen an Schutzzäune für Schafe und Ziegen näher beschrieben.

© Klingenberg in LfULG, 2014

Da Wolfsübergriffe auf Rinder und Pferde in Deutschland deutlich seltener seien als Angriffe auf Schafe und Ziegen, existiere in den einzelnen Bundesländern für diese Tierarten kein vorgeschriebener Mindestschutz, und derzeit gebe es dort für die großen Nutztierarten auch keine flächendeckende Förderung für Schutzmaßnahmen, so das BfN. Allerdings förderten mehrere Bundesländer auch für diese Tierarten lokal begrenzte Schutzmaßnahmen, wenn es zu Übergriffen auf Rinder oder Pferde gekommen sei, „um zu verhindern, dass Wölfe lernen, sich auf große Nutztiere zu spezialisieren.“

Besonderer Blick auf Rinder und Pferde

Schutzmaßnahmen für Rinder und Pferde sind aufgrund der meist größeren Weideflächen insgesamt aufwendiger umzusetzen und damit auch entsprechend teurer als der Schutz von Schafen und Ziegen. Deshalb, so das BfN auf Seite 9, könne „eine Änderung im Herdenmanagement bzgl. der Herdenzusammensetzung und/oder des Flächenzuschnitts in Erwägung gezogen werden“. Da bei den seltenen Fällen von Wolfsübergriffen auf Rinder und Pferde aber häufig Jungtiere getötet würden, müsse deren Schutz besondere Aufmerksamkeit erhalten. Dazu könnten die für Schafe und Ziegen genannten Schutzmaßnahmen genutzt werden. Im Einzelfall könne auch das tägliche Verbringen der Herde in Nachtpferche, die den Standards für Schafe und Ziegen entsprächen, eine Lösung sein.

Herdenschutzhunde

Eine Kombination aus dem je nach Bundesland abweichenden Mindestschutz mittels Zaun und einer ausreichenden Anzahl ausgebildeter Herdenschutzhunde gilt ebenfalls als angemessene Schutzmaßnahme. Laut BfN sollten pro Herde „mindestens zwei erwachsene, ausgebildete Herdenschutzhunde eingesetzt werden.“ Die Anzahl richte sich u. a. nach der Art der Weidetiere, der Herdengröße, dem Verhalten der Herde sowie der Größe und Übersichtlichkeit der Weidefläche. Herdenschutzhunde seien für Halter geeignet, „die sich mit diesen Hunden auskennen bzw. die Fachberatung zur Verfügung haben. Um den Anforderungen, die eine Haltung von Herdenschutzhunden mit sich führt, gerecht zu werden, sind neben Fachberatungen auch Schulungen von großer Bedeutung.“

Beurteilung der Schutzmaßnahmen

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Das sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie hat bereits 2014 eine Broschüre herausgegeben, in der Schutzmaßnahmen zum „Schutz von weidenden Rindern und Pferden vor großen Beutegreifern“ vorgestellt und bewertet werden. Darin heißt es: „Passive Schutzmaßnahmen durch funktionstüchtige Zaunanlagen […] versprechen bei sachgerechtem Aufbau und mehrjähriger Nutzung einen weitestgehend sicheren Schutz. Allerdings sind Nachbesserungen von Weidezäunen so nicht überall möglich und können bei großen Koppeln und Weiden sehr kostenintensiv werden. Sinnvoll sind deshalb die Förderregelungen der Bundesländer, die die Weidetierhalter mit bis zu 75 % des Kaufpreises von Netzen und Litzen zur Nachrüstung der Weideflächenumzäunung unterstützen. Dabei sollte der Gleichstellungsgrundsatz zwischen Schaf-, Rinder- und Pferdehaltern Beachtung finden.“

Fazit
Die Freude über die Wiederansiedlung des Wolfs in Deutschland wird nicht von allen Menschen geteilt. Urteile reichen von „große Beutegreifer sind wichtig für das ökologische Gleichgewicht“ (etwa Quarks, 2019) bis zu „Man kann immer nur eins haben: Entweder lässt man das Nutzvieh frei und artgerecht draußen oder man muss es wieder einsperren, weil eben der Wolf da ist“ (Bericht über einen betroffenen Landwirt im SWR). Schließlich trägt auch die bislang weitestgehend unberechtigte Angst vor Wolfsangriffen auf den Menschen zu der ambivalenten Stimmung bei.
Aufseiten der Landwirtschaft sorgen Wolfsrisse, die nicht unerheblichen, nur anteilig förderfähigen Kosten für Schutzmaßnahmen, der Zeitaufwand für deren Umsetzung und die zum Teil zusätzlich erforderlichen Änderungen beim Nutztiermanagement für Verärgerung. Dies gilt umso mehr, als damit keine absolute Sicherheit für die Nutztiere gewährleistet werden kann. Selbst wenn den Tierhaltern  die Kosten für Wolfschutzzäune zu 100 Prozent ersetzt werden, bleiben sie bisher auf den erheblichen Kosten für das Anbringen der Zäune sitzen. Auch die Schwierigkeiten, im Einzelfall eine Bejagungserlaubnis für sogenannte Problemwölfe zu erhalten, fördert die Wolfs-Akzeptanz in der Landwirtschaft eher nicht.
Klar ist, dass die Wiedereinbürgerung solcher großer Beutegreifer und die Gewährung angemessener Lebensräume in einer sehr weitgehend vom Menschen gestalteten Kulturlandschaft weder ohne Zwischenfälle noch ohne Kosten erreicht werden können. So heißt es bei der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW: „Die Finanzierung von Herdenschutzmaßnahmen kann ein Vielfaches dessen kosten, was für einen reinen Schadensausgleich aufzuwenden wäre. Dahinter steht der Gedanke, die Akzeptanz für die zurückkehrenden Wölfe zu erhöhen und den Betroffenen im ländlichen Raum die Koexistenz mit ihnen zu erleichtern. In Deutschland waren die Ausgaben für Herdenschutzmaßnahmen im Jahr 2019 mit 8.038.110 € um ein Vielfaches höher als die Ausgleichszahlungen (418.246 €).“
Der Deutsche Bauernverband (DBV) und Teile der Jägerschaft fordern ein aktives Wolfsmanagement mit aktiver Bejagung zur Einhaltung einer Obergrenze des Wolfsbestands. Diese Obergrenze solle durchaus so gewählt werden, dass der Erhaltungsbestand der Wolfspopulation erhalten bleibt. Aber nur über diesen Weg halten sie eine Koexistenz von Wölfen und Weidetieren für möglich.

In der Konsequenz müssen die gesellschaftlichen Entscheidungen zum Wolf nicht nur dessen Wiedereinbürgerung, sondern auch eine dauerhafte Bereitschaft zur fairen Übernahme der damit verbundenen Kosten sicherstellen.

[1] So habe die sogenannten Stölzinger Wölfin nach den Länderberichten in Agra-Europe (AgE, 20. Juli 2020) „bisher laut den Verbandsangaben im Landkreis Hersfeld-Rotenburg insgesamt 22 Schafe, Ziegen und Kälber getötet.“