17. Juni 2020

Kernstück des europäischen „Green Deal“: die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“

Am 1. Dezember 2019 hat die neue EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Mit dem sogenannten „Green Deal“ hat sie das Ziel definiert, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ („From Farm to Fork“) ist das Kernstück des Green Deal, mit dem bis 2030 eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion erreicht werden soll. Eine konsequente Umsetzung würde von Landwirtschaft und Gesellschaft weitreichende Änderungen erfordern. Ein Blick auf einige wichtige Aspekte:

Hintergrund

Die EU-Kommission stellt einleitend in der Strategie fest, dass die europäischen Lebensmittel „bereits weltweit als Maßstab für sichere, ausreichend verfügbare, nahrhafte und hochwertige Lebensmittel“ gelten. Dennoch begründet sie das neue Strategiepapier „Vom Hof auf den Tisch“ sowie das ergänzende Papier „Biodiversität“ damit, dass die Lebensmittelsysteme in der EU trotz schon erreichter Verbesserungen nach wie vor einer der Verursacher von Klimawandel und Umweltzerstörung seien. Es sei deshalb u. a. dringend erforderlich, die Abhängigkeit von Pestiziden und antimikrobiellen Mitteln zu verringern und den übermäßigen Einsatz von Düngemitteln zu reduzieren. Der ökologische Landbau solle intensiviert, der Tierschutz verbessert und der Verlust an biologischer Vielfalt rückgängig gemacht werden.

Nicht zuletzt habe auch die COVID-19-Pandemie deutlich gemacht, wie wichtig ein belastbares Lebensmittelsystem sei, das unter jeglichen Umständen weiter funktioniere und in der Lage sei, eine ausreichende Versorgung mit erschwinglichen Lebensmitteln zu gewährleisten. Dies sei aber nur ein Beispiel, denn auch die zunehmend auftretenden Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände und neuen Schäd­linge erinnerten immer wieder daran, dass unser Lebensmittelsystem bedroht sei und nachhaltiger werden müsse.

Die EU-Kommission macht allerdings auch deutlich, dass der Übergang zu einem nachhaltigen System „nicht ohne eine Änderung des Ernährungsverhaltens der Menschen vollzogen werden“ könne. Es müssten unbedingt Maßnahmen zur Änderung der Verbrauchsmuster und zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung ergriffen werden. Nicht zuletzt nehme auch die Fettleibigkeit zu und führe zu einem Anstieg der Gesundheitskosten.

Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ eröffne vor diesem Hintergrund „Möglichkeiten dafür, unsere Lebensweise, unsere Gesundheit und den Schutz der Umwelt zu verbessern.“

Nachhaltige EU-Landwirtschaft 2030

Innerhalb eines Jahrzehnts soll sich die landwirtschaftliche Produktion deutlich verändern. 50 Prozent weniger Pflanzenschutz, 20 Prozent weniger Dünger, ein halbierter Antibiotikaeinsatz und 25 Prozent mehr Flächen unter Ökolandbau sind nur einige der insgesamt 27 Ziele, die in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ und in der „Biodiversitätsstrategie“ benannt werden. Als Ersatz für den chemischen Pflanzenschutz sollen beispielsweise stärker innovative Technologien zum Einsatz kommen. Gleichzeitig sollen die Kennzeichnungspflichten für nachhaltige Lebensmittel sowie gentechnisch veränderte Pflanzen und Nahrungsmittel überarbeitet werden.

Weiterhin werden Treibhausgas-Emissionen und der dramatische Rückgang von Insekten und Vögeln als Gründe genannt, warum sich die landwirtschaftliche Produktion ändern müsse. Bei letzterem Punkt soll insbesondere die Biodiversitätsstrategie ansetzen.

„Weiche“ Vorgaben für Verarbeitung und Handel

Die EU-Kommission weist darauf hin, dass die Lebensmittel- und Getränkeindustrie der EU als weltweit größter Importeur und Exporteur von Lebensmitteln ihren Anteil am ökologischen und sozialen Fußabdruck des Welthandels habe. Um diesen Fußabdruck des Lebensmittelsystems als Ganzes zu verkleinern, setzt die Kommission zunächst auf einen EU-Verhaltenskodex für verantwortungsvolle Unternehmens- und Marketingpraktiken sowie einen begleitenden Monitoringrahmen. „Die Kommission wird sich um Zusagen von Lebensmittelunternehmen und -organisationen bemühen, konkrete Maßnahmen in puncto Gesundheit und Nachhaltigkeit zu ergreifen(…)“ Die Kommission werde „die Erfüllung dieser Verpflichtungen überwachen und bei Ausbleiben ausreichender Fortschritte Legislativmaßnahmen in Betracht ziehen.“

Und die Verbraucher?

Die EU-Kommission bewertet die derzeitigen Lebensmittel-Verzehrsmuster sowohl unter gesundheitlichen als auch unter ökologischen Gesichtspunkten als nicht nachhaltig.

Deshalb bringt die Kommission u. a. eine obligatorische Nährwertkennzeichnung auf der Verpackungsvorderseite ins Spiel und erwägt einen neu zu schaffenden Rahmen für Nachhaltigkeitskennzeichnungen, die bei Lebensmitteln Aspekte wie Nährwert, Klima, Umwelt und Soziales abdecken könnten. Neben neuen Möglichkeiten der Bereitstellung von Informationen an die Verbraucher sieht die Kommission auch vor, verbindliche Mindestkriterien für die Beschaffung von nachhaltigen Lebensmitteln etwa für Schulen, Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen zu definieren. Gleichzeitig sollen der Ausbau nachhaltiger Bewirtschaftungssysteme wie des ökologischen Landbaus weiter vorangetrieben und dessen Produkte gegebenenfalls durch verminderte Mehrwertsteuersätze gezielt gefördert werden, um Kaufanreize zu schaffen.

Fazit

Die Kommission gesteht ein, dass nur dann nachhaltige Veränderungen erreicht werden können, wenn auch der Rest der Welt mitziehe. Mit flankierenden Politikmaßnahmen solle deshalb weltweit auf eine Anhebung der Nachhaltigkeitsstandards hingearbeitet werden. In früheren Beiträgen (Exportschlager Nachhaltigkeit und Labels und Siegel auf Lebensmittelverpackungen) hat sich DIALOG MILCH bereits mit Facetten aus diesem Themenkomplex beschäftigt. Es ist fraglich, ob und wie „der Rest der Welt“ und auch die heimischen Verbraucher bei den geforderten Veränderungen mitziehen werden.

Aus Sicht der Landwirtschaft führen pauschale Reduktionsvorgaben etwa für Pflanzenschutz- und Düngemittel oder Antibiotika nicht in die richtige Richtung. Sie sind mit der guten fachlichen Praxis und einer sicheren Versorgung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln nicht vereinbar. Sollte die Kommission die entsprechenden Schritte in der europäischen Landwirtschaft erzwingen, steht zu befürchten, dass viele weitere landwirtschaftliche Familienbetriebe in Deutschland und der EU aufgeben müssen: Produktion und Wertschöpfung würden wohl zunehmend in Drittstaaten abwandern. Es ist mehr als fraglich, ob dort dann die von der EU-Kommission gewünschten ökologischen und sozialen Standards im Hinblick auf menschliche Gesundheit, Ökosysteme, Versorgungsketten, Verbrauchsmuster und die Belastungsgrenzen des Planeten besser eingehalten würden.

Deutlich zielführender könnte es sein, wenn Änderungen in der Lebensmittelproduktion mehr in Kooperation über die gesamte Lebensmittelkette angegangen würden, wenn der Lebensmittelhandel auf Preiskampf und Dumpingpreise verzichtete und Verbraucher ihr Konsumverhalten überdenken und Qualität sowie Umwelt- und Tierschutz angemessen über den Preis honorieren würden.